Wo die Diamanten wachsen

Eine Reise durch das naturschöne Sperrgebiet der Diamantenschürfer in Namibia. Für die „Blutdiamanten“ lebten Männer unter härtesten Bedingungen, Bürgerkriege wurden damit finanziert. Bis heute ist das Geschäft von wilden Gerüchten umrankt

von MARIA-THERESIA WAGNER

Türen schlagen. Durch offene Fenster pfeift es. Vor dem Haus abgestellte Geräte fallen scheppernd zu Boden. Ein Wort zu wechseln, wenn der Wind durch die Täler fegt und die Dünen verschiebt, ist fast unmöglich. Und sinnlos, denn in Pomona wird seit fünfzig Jahren nicht mehr gesprochen. Pomona Zentralwäsche ist eine Geisterstadt im namibischen Diamantensperrgebiet. „Romantisch“, schreit Gino Noli gegen den Sandsturm, „es gibt jede Menge romantischer Geschichten über Diamanten. Die am wenigsten romantische ist die Wahrheit.“ Die Wahrheit, die unromantische, ist ein Geheimnis. In Namibia wird sie wie ein Schatz gehütet. Die Wahrheit, die unromantische, gehört der Namdeb, Joint Venture zwischen dem namibischen Staat und dem Konzern De Beers, dem weltweit größten Produzenten und Händler von Diamanten.

Der Weg nach Pomona ist weit. Er beginnt am „Grasplatz“, wenige Kilometer östlich des Küstenstädtchens Lüderitz, dort, wo der Thüringer August Stauch 1908 die ersten Diamanten Namibias eingesammelt hat. Ein Häuschen, Schienenreste ins sandige Nirgendwo, ein überdimensionales Bahnhofsschild. „Kolmanskop, Kolmanskop“, meldet sich Gino Noli über Funk bei der Namdeb Security. Der Posten steht in Kolmanskop: ein verlassener Garten Eden, europäisierte Luxussiedlung der Diamantenschürfer in den Zwanzigerjahren. Noch ein Kontrollpunkt, ein Check, dann steuert Noli den Landcruiser „Tigger“ in die Wüste. Seine Firma, die Kolmanskop Tour Company, ist die einzige, die noch eine Konzession hat, wenigen streng kontrollierten Besuchern das Sperrgebiet zwischen dem 26. Breitengrad bis hinunter zum Fluss Oranje zu zeigen. Alle paar Stunden gibt er seine Position durch. „Nicht weil wir Diamanten finden könnten“, sagt er, „sondern weil wir in Gegenden sind, wo die Leute sind, die welche finden könnten.“ Und weil er keinem Diamantentransport begegnen darf. Die Angst vor Schmuggel ist groß bei der Namdeb. Die internationale Befindlichkeit wegen der „Blutdiamanten“, mit denen verschiedene Bürgerkriege auf dem afrikanischen Kontinent finanziert oder mitfinanziert worden sind, tut ein Übriges, das Thema Diamanten so weit wie möglich von der Öffentlichkeit fern zu halten. Also spricht Gino Noli lieber über die Wüste. Weil sie ihn fasziniert, seit er nach fünf Jahren Arbeit im Naturschutz und fünf Jahren im Dienst „der Mine“ daran „Geschmack gefunden“ hat, „hier herumzufahren“. Vorbei an eisblauen Felsformationen, uralten Telegrafenmasten, die in absehbarer Zeit umfallen werden, weil der Sand langsam, aber stetig schmirgelt, an tiefschwarzen Basaltbergen und den bunten Ockersteinhaufen, dem „Farbtopf der Buschmänner“. Chert gibt es hier, den hellbraunen Stein, in den die Buschmänner kleine Zähne feilen, bis er so scharf ist, dass selbst Knochen damit geschnitten werden können. Gelegentlich streckt Noli den Arm aus dem Fenster, prüft Stärke und Richtung des Sandsturms. Wenn es möglich scheint, sich draußen auf den Beinen zu halten, legt er einen Stopp ein. Rennt eine Düne hoch, wirft einen Schatten mit seinem Hut, greift blitzschnell in den Sand und kommt mit einem winzigen Wüstenbewohner wieder. Einem Gecko, mit Solarpaneel auf dem Kopf, das es dem Tier ermöglicht, sich nach der kalten Nacht aufzuheizen, ohne das schützende Sandbett verlassen zu müssen.

Viele Kilometer weiter stehen ein paar morsche Holzgerüste. „Stauchs Lager“, das erste, karge Camp im Zentrum seines ertragreichsten Claims, eines von denen, die er sich selbst abstecken durfte, als Finderlohn für die Entdeckung des Gebiets. Dort hat er stellenweise hunderte Diamanten auf wenigen Quadratmetern aufgehoben. „Hans im Glück“ hat ein Autor den Mann, der lange Jahre der „Diamantenkönig von Deutsch-Südwest“ war, einmal genannt.

„Kein Glück“, sagt Gino Noli, „offene Augen.“ Viele seien vor ihm da gewesen, Südafrikaner mit Diamantenerfahrung vor allem, „gut ausgebildete Leute, die haben das nicht gesehen“. Rohdiamanten sind unscheinbar, wie Kieselsteine fast.

Vielleicht hat sich August Stauch auch bloß gelangweilt in seinem Job. Als Beamter der Deutschen Reichsbahn war er nach Afrika gekommen, um beim Bau der Bahnverbindung von Lüderitz nach Keetmanshoop als Bahnmeister zu kontrollieren, dass der Abschnitt zwischen Kilometer 18 und 27 von Sandverwehungen freigehalten wurde. Ankommen und aufsammeln. So einfach war es selten, meist „harte Arbeit,“, sagt Gino Noli und zeigt die Schneisen, die sich durch die Täler ziehen. „Alle 200 Meter eine Probebohrung.“ Diamanten liegen in der Regel in einer Tiefe bis zwölf Zentimeter und kommen maximal 16 Kilometer landeinwärts der Küste vor. Mühsam haben die Pioniere Tal um Tal mit der Schaufel umgegraben, die Steine waren und sind „völlig unregelmäßig im Sperrgebiet verteilt“. Mit modernen Methoden und Geräten wird auch heute noch geschürft. Die Ausbeute in der Gegend, sagt Noli, sei lange nicht mehr so üppig, weshalb die Namdeb einige Konzessionen an kleinere Firmen abgegeben hat, die mit mobilen Anlagen dort suchen, „wo sich’s vorher nicht gelohnt hat“. Hier und da ein Holzkreuz auf einem Hügel, Reste von Brunnenanlagen, eine einzelne Bretterhütte hoch oben auf einem Berg.

Und dann ein Dünenstau, auf dem Weg nach Pomona, unüberwindlich, wie es scheint. Gino Noli lässt sich davon nicht aufhalten. „Auf geht’s!“, ruft er, und ab geht’s, fast senkrecht eine Düne hinunter. „Tigger is dancing again.“ Und Achterbahnfahren ist was für Weicheier.

Im Sand tauchen wieder Schienenstränge auf, Teil der Schmalspurbahn, die die Diamantenstationen quer durchs Sperrgebiet von Kolmanskop bis Bogenfels verbunden hat. Zwischen den Felsen liegt Pomona Zentralwäsche. Trommelsiebe stehen vor den verrotteten Gebäuden. Gewaltige Mengen Sand sind hier gewaschen worden – großzügig, in den besten Zeiten: „Alles, was kleiner als ein Millimeter und größer als ein Zentimeter war“, sagt Noli, kam unbesehen weg. Übrig blieben heutzutage unvorstellbare Mengen Rohdiamanten. Welchen Preis die Männer für die Träume aus Kohlenstoff bezahlt haben, ist oben auf dem Hügel, wo die Geistersiedlung Pomona steht, zu ahnen. Der Wind wirft jedem Schritt eine Schaufel Sand hinterher. Oder voraus. Bitter kalt ist es außerdem. „Picknick in der Schule!“, schreit Gino Noli und stemmt sich die wackligen Treppen hinauf. Grün gestrichene Tische und Bänke, die alten Landkarten hängen noch an der Wand, der Blick aus dem fast staubblinden Fenster fällt auf den Friedhof auf dem Nachbarhügel. Viele, die dort liegen, haben nichts gefunden. Andere haben sich verspekuliert oder, wie August Stauch, ihre Millionen verloren.

Der Diamantenkönig von Deutsch-Südwest starb 1946 im Hospital in Eisenach. In seinen Taschen fanden sich 2,50 Mark. 6,8 Milliarden US-Dollar betrug nach De Beers’ Angaben die Weltdiamantenproduktion 1999. Ein Prozent kam aus Namibia. Der überwiegende Teil wurde von der Namdeb abgebaut, mehr als 1,2 Millionen Karat. Die Qualität namibischer Diamanten gilt weltweit als außergewöhnlich hoch, ihr Preis ist entsprechend. Verkauft werden die Namdeb-Steine ausschließlich über den Marketing-Arm von De Beers, die Diamond Trading Company. Ende 2000 wurde der Vertrag zwischen De Beers und der namibischen Regierung um fünf Jahre verlängert. Die Zukunft der namibischen Diamantenindustrie liegt im Meer. Im Offshoreabbau sollen die marinen Vorkommen ausgebeutet werden. Von De Beers’ Marine Namibia, dem ebenfalls Ende 2000 geschlossenen Joint Venture zwischen der Namdeb und De Beers. Monopolisierung, sagen die Kritiker und riskieren eine juristische Auseinandersetzung. Mafia, sagen die Insider und bleiben anonym. Ein Staat im Staat, sagen viele und zucken mit den Schultern. Gut für den Staat, argumentiert die Namdeb-PR und verweist auf die enormen Steuereinnahmen, die Investitionen, das große soziale Engagement des Konzerns im Land.

Dass die Namdeb die Kontrolle über das Sperrgebiet behält und es als solches belässt, ist auf jeden Fall gut für die Natur, meint Gino Noli. Tiere und Pflanzen bleiben geschützt. Wer erwischt wird beim Wildern, wird nicht nach Naturschutzrecht – das würde ihn ein paar hundert Dollar kosten –, sondern nach Diamantenrecht bestraft und landet für Jahre im Gefängnis. Unzählige unscheinbare, seltene Pflanzen – das glattstenglige Eiskraut, die Geranienart Buschwindkerze, verschiedene Wolfsmilchpflanzen, die Fensterpflanze, von der nur winzige Bällchen oberhalb des Bodens zu sehen sind, Flechten, kleine Ökosysteme können nur in der Unberührtheit der Wüste überleben. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, was aus dem Sperrgebiet wird, wenn – voraussichtlich nach 2010 – der Abbau beendet wird. „Kolmanskop, Kolmanskop!“ – das Auto der Namdeb Security rollt an den Kontrollpunkt bei „Grasplatz“. Heute keine Taschenüberprüfung. Das Tor schließt sich hinter Tigger. „Willkommen zurück in der Zivilisation!“, sagt Gino Noli. Und ruft in den Wind: „Wenn das Ende der Welt kommt, wird es hier drei Wochen früher sein.“