ulrike winkelmann über Golf
: Mit Waffeleisen und Wimpernzange

Wie alt war Blondie eigentlich bei ihrer ersten Platte? Für einen Durchbruch ist es einfach nie zu spät

Diesen Monat wird meine alte Freundin Cindy dann doch ihre Anwaltskanzlei wieder aufgeben, nachdem sie in über zwei Jahren niemals mehr als die Bürokosten umgesetzt hat. Bislang hat sie vornehmlich die Interessen von Junkies vertreten, die sich als WG-Genossen gegenseitig betrogen und beklaut hatten. Weil sie sich dabei als geduldige Zuhörerin und kompetente Sozialarbeiterin erwies, wurde sie zwar weiterempfohlen, aber immer nur an Leute, die vor allem eine geduldige Zuhörerin und kompetente Sozialarbeiterin brauchten.

„So verdient man nichts“, sagt sie, während sie ihre langen gefärbten Haare mit einem Kreppeisen in einen Welldrahtstrudel verwandelt. Gemessen daran, dass man Jura nur deshalb studiert, weil es als Fach mit eingebauter Jobgarantie gilt, ist sie wirklich gelassen. „Weißt du“, sagt sie, „schon im Examen träumte ich eigentlich von einem Klamottenladen.“ Routiniert zupft sie sich die Augenbrauen – sie muss sich dabei noch nicht einmal so konzentrieren, dass sie aufhören würde zu reden. „Außerdem könnte ich als Boutiquebesitzerin im Hinterzimmer die Band managen und Gitarre üben, wenn ich vorn nichts verkaufe.“ Aber natürlich – die Band! Erleichtert lasse ich die Befürchtung fahren, dass sich hinter Cindys Coolness doch die Trübsal frischer Arbeitslosigkeit verbergen könnte und ich mir eine weitere Trostrede ausdenken müsste.

Nein, wenn ich sie mir so angucke, wie sie mit der Wimpernzange ihre Wimpern zu einem perfekten Strahlekranz biegt – Cindy wird jetzt das, was sie immer hätte werden sollen: Rockstar! Wer hat behauptet, mit 33 sei es für den Durchbruch zu spät? Ich nehme mir vor, im Internet nach gelungenen Popkarrieren zu suchen, die erst nach einem abgeschlossenen Studium plus abgebrochener Berufslaufbahn begannen. Wie alt war Blondie bei ihrer ersten Platte?

Jetzt, da Cindys Kräfte freigesetzt sind und sie nicht mehr kleinlaut samstagnachmittags aus dem Büro anrufen und das Kaffeetrinken verschieben wird, weil sie „noch nicht einmal die Buchführung fertig“ hat, könnte sie sich mal der Frage widmen, was die Band denn so singen soll.

Kaum drei Jahre ist es her. Cindy und ihre drei Freundinnen fanden, man müsse dringend eine Band gründen, bevor auch die Letzte von ihnen mit Rauchen aufgehört hätte. Wie gut es sich traf, dass Corinna grad mit einem Fotografen neu liiert war! Doch schon beim Posieren fürs Werbematerial wurde es schwierig. „Da ich ja auch die Sängerin bin, muss ich logischerweise im Vordergrund liegen“, sagte Corinna, und ihr Neuer stimmte zu – zumal sie die dramatischsten Haare habe, wie es hieß. Uta hielt es schon einmal überhaupt nicht für ausgemacht, dass Corinna singen sollte, und obwohl Cindy selbst immer fürchterlich loyal ist und niemals anderer Leute Glück im Wege stehen würde, musste sie dennoch bemerken, dass sie ja als Einzige ohne Akzent Englisch spreche, als halbe Amerikanerin, und es wolle doch wohl hoffentlich niemand Deutsch singen?

Auf die Website wurden dann die Fotos mit Corinna vorne gestellt, weil komischerweise nur die gut geworden waren. Immerhin gestaltete Utas Ex die Site so, dass sie jeder Einzelnen die Möglichkeit gab, auch ihre eigenen Porträts unterzubringen. Cindy verfügte eindeutig über die beste Galerie, und alle ihre Freundinnen wurden auch noch hineingehängt. Dass mein Foto von 1991 stammte, machte mir nichts aus.

Irgendwer wollte das Merchandising sofort übernehmen, sobald die erste Single fertig wäre, und einer von Corinnas unzähligen Exfreunden rief schon mal bei einschlägigen Kumpels an, die offenbar die Macht über die mittelgroßen Musikbühnen der Stadt hatten, um Auftrittsorte zu sichern. Ich versprach: „Ich schicke die geschlossene taz-Kulturredaktion zum ersten Konzert!“, und flehte meine Kollegen innerlich um Verzeihung an, dass ich sie allesamt zu Musikredakteuren erklärte.

Instrumente wurden gekauft, Corinna nahm ungefragt Gesangsunterricht und begründete in der Folge ihr Recht auf den Frontfrau-Status damit, dass sie den ja schließlich auch finanziert habe. Cindy meinte, ihre Gitarre sei noch viel mehr wert als Corinnas Stimme, ob ausgebildet oder nicht, aber das zählte schon wieder nicht. Seitdem übt die Band zwei Lieder von Madonna, „weil die auch ohne Stimme angefangen hat“, wie Cindy bissig bemerkte: „True Blue“ und „Like a Virgin“. Aber Ziel ist natürlich, eigene Songs zu machen. Das würde Cindy jetzt endlich erledigen!

„Hilf mal“, sagt Cindy und flattert mit den Fingern Richtung weiße Bluse auf dem Bett, in die ich ihr bitte so hineinhelfen möge, dass weder Bluse noch frischer Nagellack etwas abbekommen. „Wo willst du eigentlich hin?“, frage ich. „Vorstellungsgespräch in der Rechtsabteilung der Sparkasse – lieber Himmel, hörst du denn nicht zu?“

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