DIE UNION WILL DIE BUNDESREGIERUNG BEI DER ZUWANDERUNG VORFÜHREN
: Neue Qualen für die Grünen

Es klingt wie ein Riesenfortschritt, was gestern im Bundesrat geschah. Die Stellungnahme der Länder zum rot-grünen Zuwanderungsgesetz war milder als erwartet. Eine totgeglaubte Reform scheint zum Leben erweckt. Erstmals seit langem ist wieder von Einigung die Rede. Mancher will bereits eine „Wende“ im endlosen Streit erkennen. Und die FDP rühmt sich, diese Rückkehr zur Vernunft bewirkt zu haben. Doch das ist übertrieben. Es ist ja nicht so, dass der Bundesrat plötzlich Ja zur Zuwanderung gerufen hätte. Die FDP hat lediglich ein lautes Nein verhindert. Was bleibt, ist die Forderung nach einer „umfassenden Überarbeitung“ des Gesetzes. Auch das heißt Nein, nur leiser.

Inhaltlich hat die Union ihre sture Position keineswegs geändert. Mit dem bewusst vage formulierten Antrag hält sie sich weiter alles offen. Ob sich die Union bewegt, ist auch eine Machtfrage zwischen Merkel, Koch und Stoiber. Das kann dauern. Für die Grünen verheißt das neue Qualen. Nach eigenem Bekunden waren sie schon mit dem bisherigen Gesetzentwurf bis an die Grenze ihrer Kompromissfähigkeit gegangen. Und jetzt? Eine Mehrheit für das alte Gesetz gibt es im Bundesrat auf keinen Fall. Also wird die SPD sofort auf die Union zugehen, sobald sich die Chance für einen Konsens zeigt. Nichts braucht der angeschlagene Kanzler dringender als eine vollzogene Reform. Nichts wäre ihm lieber, als das leidige Thema Zuwanderung endlich vom Tisch zu haben.

Vor diesem Hintergrund wäre es ein Wunder, wenn die Grünen noch einmal die Kraft aufbrächten, auf ihren berechtigten Forderungen nach einem humaneren Flüchtlingsschutz zu bestehen. Von der FDP ist wenig Hilfe zu erwarten. Die Liberalen wollen zwar nicht mit der CSU in der Blockiererecke stehen – deshalb haben sie gestern eine milde Formulierung durchgesetzt –, vertreten aber eigentlich ganz andere Interessen als die Grünen. Die FDP kämpft für ein Gesetz, das den Wunsch der Wirtschaft nach freier Auswahl auf dem globalen Arbeitskräftemarkt erfüllt. Ein solches Gesetz ist seit gestern vielleicht näher gerückt. Ein Riesenfortschritt ist das nicht. LUKAS WALLRAFF