Im Geleitschutz der Literatur

Ein Geschichtenzerstörer erzählt: Xaver Beyers Erzählungsband „Die durchsichtigen Hände“

Vier Freunde entschließen sich zu einem Schwimmmarathon im Meer und spielen toter Mann. Zwei Personen kleiden ein Zimmer mit dunklem Papier aus, um es völlig gegen Lichtquellen abzudichten. Der Soldatendarsteller eines napoleonischen Schlachten-Reenactments macht sich Gedanken über den vorzeitigen Aufbruch der Zuschauer. Das sind drei von 22 Settings aus Erzählungen, die der österreichische Schriftsteller Xaver Beyer in dem schmalen Band „Die durchsichtigen Hände“ zusammengefasst hat.

Sein Titel beruht auf einem Zitat von Paul Scheerbart. Das Werk des deutschen Dichters war zwischen frühexpressionistischen Gedichten und skurril-fantastischer Literatur schwer einzuordnen. Auch Beyer fühlt sich von groteskem Humor angezogen und ist zugleich ein Meister der nüchternen Beschreibung. Man hat ihn mit dem amerikanischen Autor Walker Percy verglichen. Es ist aber eher leichtes Unwohlsein als hartnäckiger Weltekel, das die Personen in Beyers Texten umtreibt. Sie flüchten nicht vor der Welt. Sie lassen sich von der Absurdität der menschlichen Existenz, „milden Krisensituationen“ in den Worten des Autors, freiwillig aus der Bahn werfen. Aber eben „nur der Dummkopf kennt keine Schwierigkeiten“, möchte man mit Thomas Bernhard sagen. Und so wirft Beyer in seinen Erzählungen Zweifel und Demut in die Waagschale. Dem Autor genügen zur Skizzierung der Situation kurze Sätze mit wenigen Worten. Da glänzt nasser Asphalt „wie der Rücken eines Wals“. Da verwandelt eine Frau, auf deren Anruf ein Mann wartet, ihre Stimme „in eine Art Airbag, um den Aufprall des männliches Egos abzufedern und resorbieren“ zu können. Wenn in den „Durchsichtigen Händen“ im Auto gefahren oder vor dem Fernseher gelegen wird, dann beschreibt Beyer diese Tätigkeiten wie ein Kunstwerk.

Mal baut er Versuchsanordnungen mit zwei, drei vorkommenden Personen in einem bühnenartigen Erzählraum auf, dann wieder lässt sich der 31-jährige Wiener zu formschönen sprachlichen Vexierspielen hinreißen, schwelgt in der Schönheit repetitiver Satzkonstrukte, scheinbar nur, um eine Frau namens Carime seitenlang mit einem klirrenden Schlüsselbund eine Katze suchen zu lassen.

Beyer kennt das Postulat, dass ein Wort tot ist, sobald es ausgesprochen wird. Er verzichtet konsequent auf direkte Rede. Das Ego wird existenzphilosophisch runtergekocht. Einer der Protagonisten versucht, „an nichts zu denken als an sich selbst und darüber hinaus an noch weniger als sich selbst, an nichts“. Angenehm ereignislos erzählt er von Begebenheiten und Stimmungen. Die Handelnden gehen höflich-distanziert miteinander um, begeben sich aber sehenden Auges in Grenzerfahrungen oder lassen sich etwa von dem Umstand, dass sie zufällig den ehemaligen US-Außenminister Kissinger in einem Taxi in New York treffen, nicht beeindrucken. Heikle Situationen zu überstehen hilft der Geleitschutz großer Literatur. Der Protagonist in der Erzählung „Der Nichtsdestotrotzraum“ erinnert sich, als er vom Kindergeschrei im Hinterhof abgelenkt wird, an Georg Forsters Ausspruch, dass kein Unheil so schlimm sei wie das, das die Vernunft stiftet.

Xaver Beyer ist auch ein Geschichtenzerstörer, der seine Erzählungen seltsame Wendungen nehmen lässt, an unvorhergesehener Stelle abbricht oder im letzten Satz ein Stottern einbaut, das dem reibungslosen Plot noch ins Knie schießt. Wie in der Erzählung „Der Innenhof des Komplexes“, in der ein ehemaliger Theologiestudent beim Besuch einer Vernissage die Suche des Künstlers nach Wahrheit und Erleuchtung nachvollziehen kann, aber immer gereizter auf das anwesende Kamerateam reagiert.

Der fortschreitenden Illusionslosigkeit seiner Figuren begegnet der Autor mit sprachlichem Ideenreichtum.

JULIAN WEBER

Xaver Beyer, „Die durchsichtigen Hände“. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2008, 167 Seiten, 19,80 Euro