Abgründe im Speckgürtel

Wenn Familie das Problem ist, nicht die Lösung: Sadie Jones liest aus ihrem Erfolgsroman „Der Außenseiter“

Es kommt nicht oft vor, das Eimsbüttels verdienstvoller Buchladen in der Osterstraße Besuch von einer Bestsellerautorin bekommt: Mit Sadie Jones ist es nun so weit. Daheim im Vereinigten Königreich erreichte die englische Drehbuchautorin mit ihrem Romandebüt „Der Außenseiter“ höchste Verkaufszahlen und wurde für den Orange Prize nominiert. Hierzulande wussten immerhin die Rezensenten Lobendes zu sagen über psychologisch unterfütterte, so geschmeidig wie spannend in Szene gesetzte Familiendrama.

Jones, selbst zweifache Mutter, lässt den Tod einer Mutter zum Auslöser werden für die zunehmenden Verwerfungen zwischen einem Sohn und seinem Vater. Angesiedelt in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeichnet der Roman ein atmosphärisch überzeugendes Bild der ländlichen Mittelklasse im Londoner Speckgürtel.

Als Gilbert Aldridge 1945 aus heimkehrt zu seiner Frau Elizabeth und dem siebenjährigen Lewis, herrscht von Anfang an kaum Innigkeit zwischen Vater und Sohn; vergessen ist alle vorangegangene Freude, und aus dem zum Helden stilisierten Abwesenden wird, was er nun mal ist: ein strenger, wenig herzlicher Mann, der die Tradition achtet und die Witze seiner Frau häufig „geschmacklos“ findet.

Das konflikthafte Verhältnis von Vater und Sohn wird umso brisanter, nachdem Elizabeth nach einem Picknick mit Sohn Lewis ertrinkt – betrunken, wie sie es so häufig ist seit Gilberts Heimkehr. In den Augen seiner Umgebung ist Lewis – dem dann und wann sogar eine Beteiligung am Tod der Mutter zugetraut wird – fortan ein sonderbarer, später gefährlicher Zeitgenosse.

Zunächst beginnt der offensichtlich traumatisierte Lewis sich zu prügeln, dann sich auch selbst zu verletzen, und irgendwann brennt er die Kirche nieder, in der er immer wieder so viele kalte Blicke erntet – und geht für mehrere Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Rückkehr wird alles nicht eben leichter.

Verglichen wurde Jones’ Roman wiederholt mit Ian McEwans oscarträchtig verfilmtem Roman „Abbitte“ – die Rezensentin der Brigitte fand das Buch sogar „noch besser: spannender, leidenschaftlicher und zum Heulen schön“. Dass auch „Der Außenseiter“ den Weg auf die Leinwand findet, steht zu erwarten. ALEXANDER DIEHL

Mo, 20 Uhr, Buchladen Osterstraße 171