„Warum geht Smudo nicht nach Berlin?“

Jürgen Rau, ehemals Mitarbeiter der Plattenfirma Universal, hat der Hamburger Popmusik-Szene ein Buch gewidmet. Rau tat das, nachdem er hatte hören müssen, dass mittlerweile Berlin Deutschlands Pophauptstadt sei – und nicht mehr Hamburg

taz: Herr Rau, Sie schreiben in ihrem Buch „Rock‘n‘Roots“, Hamburg sei „Deutschlands Musikmekka Nr. 1!“ Was macht Sie da so sicher?

Jürgen Rau: Die Künstler, die Clubs und die Events. Für mich war wichtig, zusammen zu stellen, was sich alles in Hamburg abspielt. Dass Udo Lindenberg in Hamburg lebt, das weiß jeder. Aber weiß man, dass Herwig Mitteregger von Spliff in Hamburg lebt? Warum ist Bela B. von den Ärzten seit über zehn Jahren in Hamburg? Warum Smudo? Warum gehen sie nicht nach Berlin?

Sagen Sie’s uns bitte.

Jan Delay von den Absoluten Beginnern hat mal gesagt: Weil in Hamburg durch den rauen Wind das Gehirn besser durchpustet wird und die Leute dadurch erst denken, und dann reden. In Berlin plappert man gleich los.

Tatsächlich?

Wenn es eine Konkurrenz für Hamburg geben könnte, dann ist das Berlin. Ich habe dort bei der Firma Universal Music gearbeitet, die im Jahr 2002 von Hamburg nach Berlin gegangen ist. Da habe ich mir dann sagen lassen müssen, dass Berlin die Pophauptstadt wäre. Und da habe ich dann Handlungsbedarf gesehen. So ist dieses Buch entstanden.

Also zusammengefasst: Universal ist in Berlin, die Popkomm auch und der Musikpreis Echo wird in Berlin verliehen. Haben die Berliner Hamburg nicht abgehängt?

Nein, um Gottes Willen. Der Echo kommt eines Tages zurück nach Hamburg. Die Popkomm wird wohl da bleiben. Ich will den Berliner auch nichts wegnehmen. Aber dass Universal nach Berlin gegangen ist, war ein Fehler.

Warum?

In der heutigen Zeit ist es egal, wo Du mit Deiner Plattenfirma sitzt. Du kannst auch in Pinneberg sitzen, das ist unwichtig. Universal abzuziehen war eine Bauchentscheidung und eine Machtentscheidung. Tim Renner war zu dem Zeitpunkt Chef. Der wurde von 500 Mitarbeitern geduzt und musste einen Pfahl einschlagen.

Wird Hamburg nicht bald ein Nachwuchsproblem haben, weil junge Musiker sagen: Diese Stadt ist uns zu teuer?

Natürlich sind die Mieten hoch. In München sind sie noch höher. Aber die Künstler gehen dahin, wo die Kreativität ist. Gut, vielleicht gibt es hier das Problem, zu satt zu sein. Wir hätten die Love Parade haben können und wir haben gesagt: Das wird uns zu dreckig und zu teuer. Trotzdem bin ich ein totaler Lokalpatriot. Und seitdem ich aus Berlin zurück bin, umso mehr.

Was hat Universal in Hamburg verpasst?

Universal hätte dieses tolle Astra-Bowling-Haus in der Reeperbahn 1 beziehen können. Wo der Mojo Club drin gewesen war. Wenn man im australischen Busch gesagt hätte: „Unsere Adresse heißt Reeperbahn Nummer Eins“ – damit hätte jeder etwas anfangen können. Jetzt sitzt man in der Stralauer Allee Sowieso, im früheren Industriehafen der DDR. Dort war früher ein Kühlhaus für Eier.

Es spricht also vieles gegen Berlin. Aber was spricht für Hamburg?

Da kann ich nur sagen: Nehmen Sie sich das Buch vor. Da ist eine Ballung von vielen tollen Künstlern. Die Hamburger Szene ist sehr unterschiedlich. Man hat mir geraten: Schreib nicht mehr als 200 Seiten. Aber es wurden immer mehr.

Sie portraitieren 289 Künstler und Bands in ihrem Buch. Nach welchem Kriterium haben Sie die Musiker ausgewählt?

Sie müssen mindestens ein Album gemacht haben. Und dann muss ich etwas erzählen können über die Band. Die Band Kansas City zum Beispiel kennt keiner, hat aber einen Weltrekord mit 12-Stunden-jeweils-15-Minuten-in-26-verschiedenen-Club-spielen-geschafft. Fand ich gut. Das musste man mal festhalten. INTERVIEW: KLAUS IRLER

Jürgen Rau: Rock‘n‘Roots. Alles über Hamburgs Musikszene. 346 Seiten, 14,95 Euro

Fotohinweis:JÜRGEN RAU, 57, arbeitet seit 1973 im Musikgeschäft, unter anderem als Produktmanager, Werbeleiter und A&R. Seine Mitarbeit bei der Universal Music Group endete 2004.