Laufend spannende Erkenntnisse

Fernsehen to go: Das neue „Philosphie“-Format mit Carla Brunis Ex Raphaël Enthoven besticht (So., 13.00 Uhr, Arte)

Der Rotwein, den Raphaël Enthoven bestellt, bevor er in der französischen Botschaft in Berlin seine Sendung „Philosophie“ präsentiert, heißt „Marquis de Sade“. Trotzdem möchte er nicht über womöglich Schmerzliches sprechen. Also nichts vom Vater des Sohns von Carla Bruni, die über ihn 2003 den Chanson „Raphaël“ geschrieben hat, über Brunis Neuen, Nicolas Sarkozy.

Davon, wie Enthoven einst mit Bruni zusammengekommen sein soll, erzählt ein in Frankreich bekannter Roman („Rien de grave“), dessen Autorin Justine Lévy so lange Enthovens Frau war, bis das Paar gemeinsam mit Enthovens Vater und dessen damaliger Freundin, Bruni, nach Marrakesch reiste. Vielleicht stimmt das aber auch nicht. „Das ist ein rein fiktives Buch“, sagt Enthoven beim Wein: Der Verleger habe „groß angekündigt, dass das Buch über mich geschrieben worden sei, um Umsatz zu machen“. Was jedenfalls stimmt: dass Justine Lévy die Tochter des so bekannten wie umstrittenen Philosophen und Filmregisseurs Bernard-Henri Lévy und auch Vater Jean-Paul Enthoven ein Philosoph von Rang ist. Der junge Enthoven, Jahrgang 1977, verkörpert also nicht nur auf das Schönste, wie alles mit allem zusammenhängt: die Popmusik, die Liebe, die Politik. Sondern er ist auch für die Philosophie prädestiniert. Tatsächlich ist er im Hauptberuf Professor und nur nebenbei Journalist. Ab Sonntag führt er durch ein Arte-Format, das sich mit solch privaten Dingen überhaupt nicht beschäftigt und trotzdem verblüffende Innovationskraft beweist.

Die Sendung heißt schlicht „Philosophie“. In Folgen von 25 Minuten umkreist Enthoven jeweils gemeinsam mit einem Gastphilosophen ein Thema wie Macht, Hässlichkeit oder Melancholie. Das hat nichts mit überkommenen Talkshowmustern zu tun. Die allesamt ebenfalls sehr jungen Gesprächspartner reden eloquent und sitzen dabei nicht etwa, sondern gehen bzw. „flanieren“ (Enthoven). Nur vor Fotos und Gemälden bleiben sie stehen, um sie mitunter zu betrachten. Wichtige Worte und Sätze poppen als Textinserts auf, und damit das visuell nicht aufregt, wurde entschleunigend fast ohne Schnitt gefilmt. Enthoven benutzt den cineastischen Begriff „Plansequenz“ und erläutert: „Ich wollte eine Sendung machen, bei der es ein Risiko gibt. Man muss beim Gehen ständig auf der Hut sein und kann nicht an seinem Diskurs feilen.“ Dass das auch die Gefahr des Scheiterns in sich birgt, kickt den Philosophen: „Ich bin nie zufrieden mit meinen Sendungen. Was mich zufriedenstellt, ist allein, dass ich den Versuch gemacht habe, mit meinen Gästen zu improvisieren. Es gibt keine Perfektion.“

Diese Spannung zeichnet die unterschiedlich gelungenen Folgen tatsächlich aus. Die Startfolge zum Thema „Macht“ enthält zwar kluge Sätze („Wer Macht besitzt, übt sie eben aus, so wie man jeden Gegenstand benutzt, den man besitzt“), krankt aber etwas daran, dass Enthoven sich um besondere Neutralität gegenüber Sarkozy bemüht. „Er kommt als Person nicht vor bei mir. Ich behandle nicht seine Privatangelegenheiten als Individuum, sondern beziehe mich auf ihn in seiner Funktion als Präsident“, sagt er. In der Sendung stellt er leicht genüsslich ein Foto, das den Präsidenten nach dem Jogging in Turnhose zeigt, einem von Fidel Castro im Trainingsanzug und einem Bild des Sonnenkönigs Ludwig XIV. gegenüber; der Erkenntnisgewinn bleibt aus deutscher Sicht bescheiden.

Anders die dritte Folge, die in Berlin präsentiert wurde. Wie hier französische Philosophen mit Bezug auf deutsche Denker und Henker wie Max Weber, Hannah Arendt und Adolf Eichmann in klaren Sätzen Gesinnungs- und Verantwortungsethik unterscheiden, ist erstaunliches Fernsehen, das formal und inhaltlich schlichte neue Wege einschlägt – und auch in der Eindeutschung durch den Saarbrücker Dolmetscher Martin Will kaum verliert.

Als Inspiration fürs Prinzip, beim Reden zu gehen, nennt Enthoven übrigens Nietzsche, dem zufolge die besten Ideen beim Gehen kommen. Das könnte überhaupt stilbildend sein: Wenn die, die im Fernsehen reden, nicht immer um Tische herumsäßen, sondern gehen würden, ließe sich der Blödsinnsanteil in Talkshows wohl erheblich reduzieren. CHRISTIAN BARTELS