Harte Gegner

Die türkische Zeitung „Taraf“ weicht höchst erfolgreich die Immunität der Militärs gegen kritische Berichte auf

„Taraf“ heißt Standpunkt. Und wenn man Taraf eines nicht vorwerfen kann, dann, dass die Zeitung ihrem Namen nicht gerecht wird. Sie hat einen glasklaren Standpunkt und der heißt: Unser Gegner ist das Militär. Seit das Blatt vor gut zwei Jahren gegründet wurde, hat sie das Militär bereits mit so vielen Geschichten geärgert, dass der Generalstabschef aktuell allein bei Erwähnung von Taraf vor Wut spuckt und von „Verrat“ und „Unterstützung des Terrorismus“ brüllt.

Ihr letzter Coup tat der Militärführung besonders weh. Taraf druckte zwei Tage hintereinander Satellitenbilder, aus denen hervorgeht, dass die Militärführung rechtzeitig von dem Aufmarsch der PKK-Einheit, die vor zwei Wochen den Stützpunkt Aktütün an der irakischen Grenze angegriffen und dabei 17 Soldaten getötet hatte, gewusst haben muss – und trotzdem keine Gegenmaßnahmen einleitete.

Gegründet worden war Taraf als Sprachrohr von säkularen Liberalen, die gleichwohl die regierende AKP unterstützen: Denn die religiösen Partei ist aus ihrer Sicht die einzige, die den autoritären Kemalismus und dessen oberste Hüter – das Militär – erfolgreich bekämpfen kann.

Anfangs sah es für die Mannschaft um den Literaten Ahmet Altan, der bei Taraf als Chefredakteur fungiert und sich seit Jahren Scharmützel mit dem Militär liefert, nicht gut aus. Die Auflage brach ein, Taraf war auf dem Weg, ein weiteres verzichtbares Debattenblatt zu werden.

Die Wende kam mit ihrem ersten Coup: Taraf berichtete sensationelle Details über Putschpläne im Militär. Enthüllt hatte diese das Wochenblatt Nokta. Doch deren Eigentümer bekam nach der ersten Veröffentlichung und dem anschließenden Druck schnell kalte Füße und machte sein Blatt dicht. Daraufhin ging der Chefredakteur von Nokta, Alper Görmüș, zu Taraf. Dort ließ man sich nicht einschüchtern und brachte immer neue Geschichten über die Putschisten. Ergebnis: Die Taraf-Auflage stieg von 15.000 auf jetzt rund 50.000 Exemplare.

Dabei erwies sich als hilfreich, dass Taraf auch weiterhin enthüllende Dokumente aus höchsten Kreisen des Militärs zugespielt bekam. Die Wut der Militärführung über den „Verrat“ in den eigenen Reihen ist womöglich noch größer als der Zorn auf Taraf. Doch sie können seit Monaten das Leck nicht finden. Die Taraf-Führung deutet gelegentlich an, sie wisse auch nicht, wer der Informant sei, das Material käme anonym. Und so knüpfen sich etliche Vermutungen an den geheimnisvollen Unbekannten: Wird Taraf von der AKP mit manipuliertem Material nur benutzt? Wie werden die Informationen überprüft? Die Reaktionen der Militärführung zeigen bislang jedoch, dass das Blatt offenbar ins Schwarze trifft. Und auch bei Leuten, die Taraf nicht unbedingt nahestehen, wächst die Kritik am Militär. „Ob man nun Taraf mag oder nicht“ schrieb der bekannte Kolumnist Mehmet Ali Birand, „die Zeitung macht ihren Job.“ Doch der „Stil in dem Generalstabschef Bașbug reagiert, bringt überhaupt nichts in Ordnung. Im Gegenteil, die Fragen werden dringender.“ – Plötzlich ist das Militär gegenüber Kritik nicht mehr immun. Ein erstaunlicher Erfolg des publizistischen David gegen den militärischen Goliath. JÜRGEN GOTTSCHLICH, ISTANBUL