Nicht in Symbolik verhaken

Im Interview: Altonas SPD-Kreisvorsitzender Hans-Christoff Dees über den plötzlichen Bedarf an geschlossenen Jugendheimen

taz hamburg : Die SPD hat sich am Wochenende für geschlossene Jugendheime ausgesprochen. Die hatte sie selber vor 20 Jahren abgeschafft. Warum ist plötzlich richtig, was so lange falsch gewesen sein soll?

Hans-Christoff Dees: Es betrifft nur einen ganz kleinen Kreis krimineller Jugendlicher. Und anders als mit geschlossenen Heimen gelingt es nicht, diesen überhaupt erst einmal ein kontinuierliches Beziehungsangebot zu machen. Das sind schwer gestörte Kinder mit sehr häufigen Beziehungsabbrüchen. Um Zugang zu ihnen zu bekommen, muss ein konstanter Rahmen geschaffen werden.

So hat die SPD schon vor drei Jahren nach dem Mord von Tonndorf argumentiert. Als Reaktion wurden zwei intensiv betreute Wohngruppen für diese Jugendlichen eingerichtet. Warum reichen die nicht mehr aus?

Hamburg hat das Problem mit diesem kleinen Täterkreis in Wahrheit exterritorialisiert. Die Täter wurden nach Baden-Württemberg geschickt oder nach Schleswig-Holstein in die Jugendpsychiatrie.

Oder in Wohngruppen mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Warum reichen die nicht mehr?

Es gab ein Vollzugsdefizit. Im Jahr 2001 ist festgestellt worden, dass die Wohngruppen nicht sicher genug sind. Junge Menschen haben, wenn sie hinter geschlossene Mauern kommen, ein extrem hohes Bedürfnis, aus diesen wieder auszubrechen. Diese Einrichtungen haben nicht hundertprozentig funktioniert.

Vorige Woche ist aus dem geschlossenen Heim in der Feuerbergstraße ein Jugendlicher ausgebrochen. Muss man jetzt einen Wassergraben darum ziehen?

Ich bin kein Experte für technische Sicherungen. Da waren offensichtlich einige Türen nicht genügend gesichert. Das Wichtigste ist, dass das geschlossene Heim keine Dauerveranstaltung werden darf und dass versucht werden muss, langjährige Bezugspersonen für den Jugendlichen aufzubauen. Und man muss von dieser symbolbeladenen Diskussion um geschlossene Heime wegkommen und in einen politischen Wettbewerb um das bessere Konzept eintreten.

Glauben Sie, dass man vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehungen durch Zäune erzwingen kann?

Es gibt für einen bestimmten Personenkreis keine andere Möglichkeit, als über Zäune erst einmal die Beziehungsanbahnung zu ermöglichen. Das hat die Realität der letzten Jahre traurig bewiesen.

Wodurch? War der Ausbruch vorige Woche nicht eher ein Indiz für das Gegenteil?

Man darf nicht auf kurzfristige Erfolge setzten. Der Jugendliche war erst wenige Tage in der Feuerbergstraße. Und der Umkehrschluss stimmt auch nicht: Dadurch, dass die Betroffenen fliehen und auf der Straße sind, ist ihnen auch nicht geholfen.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, zunächst die Erfahrungen mit der Feuerbergstraße abzuwarten und als Partei dann erst eine Entscheidung über die Sinnhaftigkeit zu treffen?

Politik muss reaktionsfähig sein und kann nicht erst vier oder fünf Jahre abwarten, bis alle Evaluationsdaten vorliegen.

Worauf reagiert die SPD mit ihrem Richtungsentscheid? Was ist in der Zwischenzeit passiert außer, dass die Partei Wahlen verloren hat?

Wenn wir Wahlen verloren haben, haben wir Vertrauen verloren. Auch weil die Bürger ohnmächtig zuschauen mussten, wie im Bereich der Jugendkriminalität Erfolge jahrelang auf sich warten lassen. Zwar hat die Jugendkriminalität seit 1998 kontinuierlich abgenommen. Den Menschen ist das aber nicht schnell genug gegangen. Es war falsch vom alten rot-grünen Senat, in der Symbolik des Begriffs geschlossene Heime zu verhaken und sie pauschal abzulehnen. Dadurch hat sich die öffentliche Diskussion unnötig polarisiert. Man hätte besser daran getan, schnell Konzepte zu entwickeln, die eine hohe pädagogische Qualität sicherstellen.

Bundesweit gibt es nur noch acht derartiger Heime, zwei davon werden geschlossen. Nur in Hamburg geht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Wissen allein hier die Politiker, was gut für Jugendliche ist?

Bestimmt nicht. Politik weiß sicher nicht immer, ob alles, was sie tut, für lange Jahre richtig sein wird. Deshalb gilt, dies regelmäßig zu überprüfen.

Interview: Elke Spanner