Papprollen und Ketchup für Frieden

Man soll die Party verlassen, wenn’s am schönsten ist – Impressionen aus dem New York vom Samstag, in dem tausende Demonstranten daran gehindert wurden, zur Kundgebung der Friedensdemo zu gelangen, und dennoch ein Zeichen setzten

Altersmäßig war das Spektrum von der Wiege bis zum Grabe locker gestreutDer Typ in GI-Uniform, dem ketchupverschmierte Plastik-Gedärme aus den Nähten quollenIrgendwann stoppte auf der Madison Avenue ein großer schwarzer Lincoln

aus New York TIL METTE

taz ■ Gott-oh-Gott, wie ich damals diese Gutmenschen verachtet habe, die im Dusel ihrer Betroffenheit ihre ahnungslosen Babies mit auf Demos schleiften. Schwamm drüber – vorgestern schob ich meine fünfzehn Monate alte Tochter bei eisigem Wind und arktischen Temperaturen im Kinderwagen mitten im Gewühle dieser Anti-Kriegsdemo durch Manhattan. Meine Frau trug unsere fünf Wochen alte Tochter in einem Rucksack unter ihrer Daunenjacke vor sich her.

Da im Vorfeld der Demo bekannt war, dass die Polizei den Demonstranten aus Sicherheitsgründen nur erlaubt, auf dem Bürgersteig zu demonstrieren, und wir als Kleinfamilie weder Plakate noch kriegskritische Aufkleber bei uns trugen, kamen mir bei unserer Ankunft in New York ernsthafte Zweifel, wie der einfache New Yorker Bürger oder gar die angereiste Weltpresse uns denn auf dem Gehweg bummelnd als demonstrierende Friedensfreunde erkennen solle.

Diese Sorgen sollten schon bald verfliegen, denn als wir die erste Busladung von angereisten Demonstranten aussteigen sahen, bemerkte ich, dass sie genauso aussahen wie wir – alle im winterlichen Outdoor-Chic, überzogen von einer Patina aus „was-soll’s-Hauptsache-warm“ und „die-Jacke-hatte-ich-schon-damals-’68-in-Chicago-an“. Altersmäßig war das Spektrum von der Wiege bis zum Grabe locker gestreut. Hyperventilierende Polit-Hooligans, die ich noch von deutschen Demos in schlechter Erinnerung hatte, gab es nicht.

Wenn jemand ein Transparent mitführte, so galt die von der Polizei verordnete Regel: Aus Sicherheitsgründen diese nicht an Holzstöcken befestigen, sondern nur an Papprollen. Und so schwenkte mancher Demonstrant eine lange Papprolle, an der oben eine kleine Amifahne verkehrtrum wedelte. So kann man diesen penetranten Ami-Patriotismus ertragen.

Später, als unübersehbare Menschenmengen aus den querlaufenden Straßen auf die Lexington Avenue quollen, alles verstopften und das Gejohle der Demonstranten ein wirklich unheimliches Echo in den Häuserschluchten verursachte, war klar, dass die Polizei sich mit der Zahl der geschätzten Demonstranten ordentlich verrechnet hatte.

Auf den Transparenten sah man Sprüche wie „Vive la France“ und „Thank you Germany“. Ja shit ... da wird’s einem doch ganz warm ums deutsche Friedensherz und man möchte dem einsamen Kanzler in der Heimat zurufen: „Hallo Gerd, du, sei nicht traurig, hier demonstriert ein Friedensfreund und denkt an dich ...“

Dann stand da diese Dreiergruppe, die sich große gruselige Pappmaché-Masken in Form von Dick Cheney, George W.Bush und Donald Rumsfeld auf den Kopf gesetzt hatte. Viele vorbeimarschierende Protestler mit Transparenten hatten viel Spaß dabei, ihnen im Vorbeigehen mal schnell die Papprolle von ihrem Transparent über den Kopp zu hauen.

Es gab viel zu gucken, lustige Plakatsprüche wie „stop that bushit“, oder der Typ in der GI-Uniform, dem ketchupverschmierte Plastik-Gedärme aus den Nähten quollen, so dass man gar nicht merkte, dass wir alle in die falsche Richtung liefen. Nicht Richtung Osten zur UNO, sondern wir latschten endlos Richtung Norden, weil die Polizei anfing, die Querstraßen, die zur Hauptkundgebung führten, abzusperren.

Anfangs standen da nur zwei, drei Polizisten mit einem blauen Holzbalken und hinderten tausende von Leuten, durch die Straße zu gehen. Ich hätte easy meiner Tochter im Kinderwagen sagen können: „Komm Emely, halt dich fest, wir fahren jetzt mit dem Kinderwagen die Straßensperre über den Haufen“, aber on second thought... Was hätten die auf den Dächern platzierten Scharfschützen davon gehalten? Also haben wir Heldentum Heldentum sein und uns weiter von der Polizei an der Nase herum führen lassen.

Irgendwann, als klar war, dass man den Kundgebungsplatz wohl nie erreichen wird, stoppte mitten auf Madison Avenue ein großer schwarzer Lincoln. Der schwarze Chauffeur stieg aus, stellte sich in stattlicher Pose neben die geöffnete Fahrertür. Er hatte sein Autoradio auf volle Kanne gestellt und Demonstranten standen nun um den Wagen und hörten so der Rede von Desmond Tutu zu. Als dann eine Ecke weiter behelmte Polizisten auf Pferden mit Knüppeln aufzogen, war klar, dass es vielen Demonstranten zu blöde geworden war, daran gehindert zu werden, den Kundgebungsplatz zu erreichen. Man fing an, an den Absperrungen zu rütteln, Pferde wurden nervös, Knüppel flogen, es wurde geschrien – da erinnerte ich mich an die alte Weisheit, dass man eine Party dann verlassen sollte, wenn es am schönsten ist. Das haben wir dann auch schnell gemacht.

Ein Nachsatz noch für alle Freunde von Zahlen und Statistiken: die Polizei zählte laut New York Times 100.000 Teilnehmer, die Veranstalter zählten 400.000 Demonstranten. Da von Harriet, unserer fünf Wochen alten Tochter nur das letzte Ende ihrer gestreiften Zipfelmütze aus der Daunenjacke meiner Frau rausschaute, nehme ich an, dass sie weder von den Cops, noch von den Veranstaltern mitgezählt wurde. Deshalb addieren Sie bitte die Zahl eins zu den o.a. veröffentlichten Demonstrantenzahlen. Danke.