Güldene Drachen, exotische Käfer

So war‘s: Frank Albrecht und Günter Albers beweisen mit dem Melodram „Enoch Arden“ im Jungen Theater, dass die Kunstform völlig zu Unrecht vergessen ist

Undankbar ist sie. Dass die Gattung Melodram nicht eben das große Publikum zieht, darüber hülfe ja noch ein elitär dahin gerotzter Latinismus hinweg: Satis est nullus. Aber obendrein stellt die weitgehend verdrängte Kunstform, die Frank Albrecht und Günter Albers am Wochenende im Jungen Theater präsentierten, extreme Ansprüche an ihre je zwei Interpreten.

Da ist einmal der Rezitator. Der muss ein ganzes Vers-Epos nicht nur im Hirnkasten, sondern in Herz, Lunge, Blut –im Leibe haben. Und Teufel auch, der Pianist nicht minder. Der nämlich hat stets hintergründig zu begleiten: mal schwebend, mal hochdramatisch aufbrausend. Und – das ist das schwierigste – durch gespanntes, langes Schweigen, das ein punktgenauer Neueinsatz beendet. Nur so entfaltet sich das spezielle Fluidum: Der hagere Frank Albrecht schlendert durch die Klappstuhlreihen. Bisweilen scheinen seine Augen tief im Schädel visionär zu glühen. Manchmal, dann ist er der Erzähler, liegt über ihnen ein Schleier unbeteiligter Arroganz. Dabei breitet er der Verse Riesenteppich von Alfred Tennysons Enoch Arden (1864) vor dem Publikum aus. Und wolkige Akkorde tragen sanft ihn himmelan. Günther Albers lässt Richard Straußens kluge Klavierstimme aus einem geheimnisvollen Semi-Off ertönen, gerade hell genug dass er die Tasten sieht: Die Musik ist nicht Akteur. Sie ist die Bühne. Auf ihr enthüllen sich ferne Gestade: Die einsame Tropeninsel, wo der verschollene Seefahrer ausharrt, goldblitzende Drachen, exotische Käfer und zutrauliche Echsen setzen sich dem Schiffbrüchigen aufs Revers. Bis schließlich Rettung naht – und doch nicht Rettung. Viktorianischer Kitsch wär’s, müsst’ man das lesen. Doch wo Magie ist, kann kein Schwulst sein. Benno Schirrmeister