Das Kommen des Anderen

Keine Angst, es steht noch. Und doch hat Michael Weisser mit den denkenden Bildern der Ausstellung „Options 4 you“ das Gerichtshaus in Bremen dekonstruiert. Bis ins Mark

Die Bilder denken. Michael Weissers Ausstellung „Das Gerichtshaus in Bremen“ ist feinsinnig und hoch intelligent in die Räume der Städtischen Galerie hinein komponiert. Aber den der Konzept-Kunst gern gemachten Vorwurf galoppierender Verkopfung kann ihn nicht treffen.Weisser gelingt eine abstrakte Annäherung ans örtliche Gerichtsgebäude von 1895 und – in derselben Bewegung – ans System Recht. Auf sinnlichem Wege: Er lässt die Bilder denken.

Sein Grundmaterial dafür sind Fotografien. Sie halten durchaus Normalblicke fest, Ansichten eines Eindringlings, der, von der Straße kommend, die fremde Welt des Gebäudes erkundet. Da gibt es Postkartenmotive – etwa eine triviale Frontansicht des Baus – und ästhetisch bemerkenswerte Details wie die edel geschnitzte Lehne eines Richterstuhls. Oder jene Besonderheiten einer Sphäre, die ihren Bewohnern längst zu vertraut sind, als dass sie noch wahrnehmbar wären: Gerichtsknoten, das Skelett einer verwesten Taube auf dem Dachboden. Zu ihnen gehören auch die Zeichen: Stempel, Briefköpfe, Siegel. Und, eine Brücke zwischen System und Ort, die Terminologie. „TÄTER ANWALT GESETZ“ – Worttafeln rufen mit Großbuchstaben ein Vokabular auf, das, für jeden verständlich, das Fach bezeichnet: Justiz.

Ein Konvolut aus per Rechner analysierten Rohstoffen, Fasern und Fragmenten, auf identische Formen gebracht. So löst sich die angestammte Hierarchie auf. Gleich berechtigt geworden fügt sich das Material neu zusammen: Das Außen, das Innen, die Worte, die Zeichen – mit vier Begriffen gliedert Weisser die Schau. Und wie zufällig spiegelt sich darin erneut die Ordnung des Hauses: Die Vierzahl ist eine Analogie zu dem Kreuz, in dem Anklage und Verteidigung, Publikum und Richter einander gegenüber sitzen. Unscheinbar taucht das formale Motiv, eine Reminiszens, wieder auf: Ein schlichtes Fensterkreuz im Treppenhaus? Weisser steigt ein: Per Computerzoom geht erseinem Bild auf den Grund. Über die Mikro-Struktur hinaus ins Violett. Form wird Farbe, Innen Außen. Ohne die Gegensätze gibt es die Sphäre nicht: Der Weg ist frei für das Ganz-Andere. „Das Kommen des Anderen“, schreibt Jacques Derrida, „ ist die unendliche Gerechtigkeit.“

Benno Schirrmeister

Städtische Galerie, bis 8. März