Ein bisschen lesen, ein bisschen reden

Kann man ein Buch „Herero“ nennen, in dem Hereros nur am Rande vorkommen? Gerhard Seyfried las in der Literaturwerkstatt aus seinem ersten Roman, der sich dem Stand der Geschichtsforschung gerecht zu werden bemüht

Die Literaturwerkstatt, die in der Kulturbrauerei eine neue Heimat gefunden hat, war rammelvoll, als Gerhard Seyfried, der ehemalige Comiczeichner, bekannt geworden durch lustige Bilder von Bulletten, Freakadellen und Christian Ströbele, am Freitagabend aus seinem ersten Roman, „Herero“, vorlesen sollte. Teilnehmer sprechen von 400 Besuchern; die Schätzungen der Polizei liegen erwartungsgemäß darunter. Der 600-seitige Roman spielt 1904, vor dem Hintergrund des Aufstands der Hereros gegen die deutsche Kolonialherrschaft im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Um den Aufstand niederzuschlagen, hatte Kaiser Wilhelm über 4.000 Soldaten nach Namibia geschickt und den Oberbefehl dem ausgewiesenen Rassisten Lothar von Trotha übergeben. Der befahl, jeden Herero, ob bewaffnet oder nicht, zu erschießen; Konzentrationslager wurden eingerichtet. Einige Historiker sprechen von einem geplanten Genozid oder auch davon, dass hier der Rassenkrieg der Nazis vorgeformt worden sei.

Seyfried berichtet von diesem düsteren Kapitel deutscher Kolonialgeschichte aus der Perspektive des jungen Kartographen Carl Ettmann, den es am Vorabend des Aufstands nach Südwestfrika verschlagen hat. Er bemüht sich in seinem Buch, dem Stand der Geschichtsforschung gerecht zu werden und die Schwarzweißmalerei zu vermeiden, die die existierende Literatur kennzeichnet. Seinem Buch wurde vorgeworfen, zu langatmig zu beschreiben, die deutschen Kolonialisten zu entschuldigen, behauptet zu haben, der Genozid an den Hereros sei nicht geplant, sondern eher zufällig geschehen.

Der aus München gebürtige Autor strahlte eine gewisse bayrische Gelassenheit aus. Die Buchpremiere hatte etwas Gemütliches. Ein bisschen lesen, ein bisschen diskutieren. Die Historikerin Gesine Krüger saß mit auf der Bühne und attestierte dem Buch des Autor historische Glaubwürdigkeit. „Es stimmt alles.“ Beim Lesen hätte sie meist gewusst, welche Quellen er gerade für diese oder jene Passage benutzt hätte. Genau dies scheint aber eine der Schwächen des Buchs zu sein, das sich sehr erfolgreich verkauft. Es scheint vor allem das Ergebnis eines sehr fleißigen Quellenstudiums zu sein, wobei Seyfried vor allem aus dem Tagebuch des Hauptmanns Viktor Franke schöpfte, der als Offizier zwar mithalf, den Aufstand niederzuschlagen, aber entsetzt war über die Brutalitäten, die seinem Verständnis von Soldatentum widersprachen. So erinnert Seyfrieds Buch ein wenig an diese im Fernsehen überhand nehmende (grauenvolle) Mode einer Vermischung von historischer Faktenvermittlung und schauspielerischer Nachinszenierung historischer Ereignisse, und man ist ein wenig verwundert über die Schriftgläubigkeit des fleißigen Autors, der 200 Bücher, wie er sagt, zum Thema gelesen hatte, aber für lediglich zwölf Tage tatsächlich in Namibia gewesen war. Damals – 1999 – hatte er in Namibia Vorträge über den Einsatz von Comics im Sprachunterricht zu halten.

In der Diskussion wurde Seyfried mehrmals dafür kritisiert, dass in seinem Buch eigentlich keine Hereros auftauchen. Seyfried antwortete, er sei nun mal kein Hetero und hätte es anmaßend gefunden, einen Hererohelden zu erfinden. Außerdem gebe es von den Hereros keinerlei schriftliche Aufzeichnungen, die ihm dabei hätten helfen können. Zunächst klingt das ganz einleuchtend, kommt einem später allerdings auch ein bisschen billig vor.

Eine der Aufgaben eines Schriftstellers sollte doch darin bestehen, sich nach diversen Recherchen und Gesprächen in andere hineinzuversetzen, gerade bei einem solchen Thema, und außerdem heißt das Buch doch „Herero“, und man kann doch ein Buch nicht Herero nennen, in dem Hereros nur am Rande vorkommen. DETLEF KUHLBRODT