Spiel ohne Bremsen

Nach dem 3 : 3 gegen Borussia Dortmund gab’s bei Werder Bremen Schelte in der Kabine. Denn Trainer Schaaf war richtig verärgert: Die Mannschaft sei pubertär, trotzig und undiszipliniert

VON ROGER REPPLINGER

Das Spiel Werder Bremen gegen Borussia Dortmund im Weser-Stadion war ein Auto, das ohne Bremsen den Berg hinunterrollte. Zunächst langsam, man merkte gar nicht, dass etwas nicht stimmte. Dann quietschten die Reifen, die Fahrgäste schrien, Fußgänger ergriffen die Flucht. Die Handbremse funktionierte nicht, auf zwei Rädern schlitterte der Wagen um die Kurven und am Ende prallte das Auto, qualmend und verbeult, auf ein parkendes Fahrzeug.

Keiner, der dabei war, war so richtig glücklich, keiner traurig, alle waren froh, dass es halbwegs heil überstanden war. Werders Trainer Thomas Schaaf holte seine Mannschaft sofort nach Spielende in die Kabine. Er wollte, dass bei seiner Rede die Eindrücke frisch sind, vor allem der des 3 : 3-Ausgleichs für Dortmund, der so spät fiel, dass Schiedsrichter Michael Kempter das Spiel nicht mehr anpfiff. „Man kann es ja so machen, dass man alles erst mal sacken lässt. Man kann aber auch mal was anderes machen“, erklärte Schaaf. Diesmal gab er der Mannschaft „ein paar Worte mit auf den Weg“, denn er hat den Eindruck, dass seine Mannschaft pubertiert, undiszipliniert, trotzig, aggressiv ist.

Vor dem Spiel gegen Dortmund hatte Bremen die meisten Tore, danach noch immer: 22 geschossen, eins mehr als Hoffenheim, 19 kassiert, genau so viele wie Gladbach. „Das hat“, sagte Manager Klaus Allofs, „nichts mit der offensiven Spielweise zu tun, sondern mit der Bereitschaft, alles zu geben.“ Die fehlt.

Bremens Kapitän Frank Baumann spielte für den gesperrten Per Mertesacker als Innenverteidiger neben Naldo. In der 58. Minute hielt Baumann den besten Spieler auf dem Platz: Sebastian Keh im Strafraum. Den Elfmeter verwandelte Alexander Frei (59.). Werder tat sich schwer mit der „Tannenbaumtaktik“, wie Jürgen Klopp die Grundordnung seines Teams nannte: Hinten viele Spieler, nach vorne immer weniger. „Ham wir in zwei Tagen eingeübt“, so Klopp.

Dortmund war nur über außen zu erobern. Doch Bremens Außenverteidiger Petri Pasanen und Clemens Fritz blieben blass. Als Schaaf den Finnen Pasanen herausnahm und Sebastian Boenisch brachte, wurde es besser: Boenischs erste Aktion war eine Flanke, die Baumann einköpfte: 1 : 1 (68.). Das Tempo nahm zu. Nach einer Werder-Ecke ging Dortmund durch einen Konter, den Mats Hummels abschloss, in Führung (72.).

„Das darf uns nie und nimmer passieren“, ärgerte sich Baumann. In der 88. Minute rutschte Dortmunds Torwart Roman Weidenfellner ein Boenisch-Schuss durch, aus dem ruhenden Ball machte Claudio Pizarro den Ausgleich. Nun wurde das Tempo atemberaubend. Die 42.100 Zuschauer hielt es nicht auf den Sitzen. Werder ging nach einem Einwurf von Boenisch durch Pizarro in Führung (91.). Das war nicht verdient, aber spektakulär.

Werder spielt nicht gut in dieser Saison, aber Zugucken macht Spaß, wenn man nicht der Trainer ist: „Da spielt man so und schafft es, das Spiel zu drehen, und dann sind nur noch ein paar Sekunden, da müssen wir uns anders verhalten, „brummte Schaaf, „da muss man die Qualität, das Können, die Abgeklärtheit haben. Da muss man sich ärgern.“

Qualität, Können, Abgeklärtheit: Bremens Einwechselspieler Aaron Hunt verdaddelt den Ball im Mittelfeld, setzt nach, Dortmunds Florian Kringe flankt, Wiese klatscht den Ball ab, zu Mohamed Zidan. In der zweiten Minute der Nachspielzeit guckt Kempter mit einem Auge auf die Uhr, mit dem anderen auf Zidan, der den Ausgleich macht.

Beide Mannschaften bleiben Tabellennachbarn im gehobenen Mittelfeld. Für Werder zu wenig. Allofs „zweifelt nicht an der Qualität“ der Mannschaft. Das würde er erst, „wenn sich in den kommenden Wochen nichts tut“.

Wie schnell werden Pubertierende erwachsen? Schaaf wünscht sich, dass sich seine Spieler „mit dieser Partie noch beschäftigen“. Er muss es schließlich auch. Klopp äußerte weise: „Man muss aus einem Fußballspiel mehr mitnehmen als nur Punkte.“ Das „mehr“ ist die Erkenntnis als Resultat sinnlicher Erfahrung.

Das Geräusch von sich verbiegendem Blech, der Geruch von verbranntem Gummi, und die Freude, dass kein Notarzt gebraucht wurde. Ein Abschleppdienst reichte völlig.