Gestohlene Bilder

Dokumentation auf den Spuren alter Kriegsbilder: „Algerien, ich weiß, dass du weißt“ (22.35 Uhr, Arte)

Der Krieg in Algerien findet weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Nur wenige ausländische Journalisten und noch weniger Fotografen und fast überhaupt keine Kamerateams haben freien Zugang. Der algerisch-schweizerische Regisseur Mohammed Soudani stößt einige dieser Türen auf. 30 Jahre nachdem er seine Heimat verlassen hat, kehrte er mit seiner Kamera in ein leidendes Land zurück.

Hier wandelt Soudani auf den Spuren des einzigen ausländischen Fotografen, der den mittlerweile elf Jahre andauernden Konflikt dokumentiert hat: der Schweizer Michael von Graffenried. In unzähligen Reisen fotografierte dieser die Gewalt, die Verzweiflung, die schwindende Hoffnung auf Besserung. Seine Schwarz-Weiß-Bilder wurden weltweit in den großen Nachrichtenmagazinen gedruckt.

Michael von Graffenried wurde, wie er immer wieder bestätigt, „rein zufällig“ Spezialist für Algerien. 1991 wurde er von der Schweizer Botschaft in das nordafrikanische Land eingeladen. Er leitete einen Workshop mit einheimischen Kollegen. Es war das Jahr der Islamisten. In Streiks und Demonstrationen brachten sie den Unmut der Bevölkerung über das korrupte Regime des Landes zum Ausdruck. Sie gewannen so die Kommunalwahlen und schließlich Anfang 1992 die Mehrheit im Parlament. Die Armee schritt ein. Die Wahlen wurden ausgesetzt, die siegreiche Islamische Heilsfront (FIS) verboten. Der Konflikt, der inzwischen mehr als 150.000 Menschenleben gefordert hat, nahm seinen Lauf.

„Ich hatte den Eindruck, dass das Land eine Art Labor ist, in dem verschiedene Weltanschauungen aufeinander treffen“, erinnert sich von Graffenried. In den Folgejahren kehrte er immer wieder zurück. Für seine Dokumentation des Alltags dieses „Krieges ohne Bilder“ bediente er sich einer Breitbildkamera mit Weitwinkelobjektiv, die er oft vor der Brust hängend betätigt. „Ich habe meine Bilder gestohlen“, gesteht er ein. Mit Soudanis Hilfe wollte er sie den Abgelichteten zurückgeben.

Die Idee war einfach. Einen Ausstellungskatalog über seine Algerienarbeit in der Hand suchte von Graffenried die Schauplätze seiner Bilder auf. Er zeigt die Fotos herum und findet tatsächlich Menschen wieder, die er Jahre zuvor auf Negative gebannt hatte. Vor der Kamera Soudanis treten sie aus der Anonymität, beginnen mit erstaunlicher Offenheit zu sprechen: ein Mosaik aus Geschichten, das sich Stück für Stück in die Geschichte eines der brutalsten Konflikte verwandelt.

Soudani beschränkt sich darauf, hin und wieder seine eigenen Eindrücke über sein Land einzustreuen, der Rest gehört den Menschen, die von Graffenried trifft. Menschen, die trotz aller Verzweiflung den Sinn für Humor und die Lust am Leben bewahrt haben. REINER WANDLER