Stunde der Wahrheit für Regierung in Ankara

Morgen stimmt das türkische Parlament über eine Beteiligung am Irakkrieg ab. Die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungspartei AKP ist dagegen. Auch die Generäle machen Front gegen US-Pläne. Drohungen aus Washington

ISTANBUL taz ■ Morgen schlägt für die türkische Regierung die Stunde der Wahrheit. Das Parlament muss definitiv über die Teilnahme am Krieg gegen den Irak abstimmen. Bis zuletzt hat die AKP-Regierung versucht, die Entscheidung zu verschieben, doch in Washington ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Tausende GIs warten seit Tagen vor der Küste. Wenn der Schlag im März erfolgen soll, muss nach dem Aufmarsch in Kuwait auch die Nordfront aufgestellt werden.

Doch wie schon am Freitag im UN-Sicherheitsrat, könnten die USA erneut einen herben Rückschlag erleiden. Die Abgeordneten der regierenden AKP sind, wie 90 Prozent der türkischen Bevölkerung, überwiegend gegen den Krieg. Noch mehr ist die islamische AKP-Basis erzürnt, dass ausgerechnet ihre Regierung das Land in einen Waffengang gegen ein islamisches Bruderland führen will.

Entsprechend widerspenstig ist nun die Atmosphäre in der AKP-Fraktion. Fast jeder AKP-Abgeordnete möchte sich als Neinsager profilieren. Um für ihre Vorlage Stimmung zu machen, hat die Regierung in Washington versucht, feste Zusagen als Kompensation für wirtschaftliche Verluste im Zuge eines Krieges herauszuholen. Doch eine schriftliche Zusage über rund 20 Milliarden Dollar – ein großer Teil als Kreditbürgschaft – lehnte Washington ab. Erst solle das Parlament zustimmen, dass mindestens 35.000 US-Marines in der Türkei anlanden können.

Doch Ministerpräsident Abdullah Gül und Parteichef Tayyip Erdogan haben nicht nur Probleme mit ihren Abgeordneten. Auch türkische Generäle machen Front gegen den Wunsch der USA, dass türkische Truppen im Nordirak unter US-Oberbefehl stehen sollen. Der Generalstab verlangt, dass ein türkischer Vertreter in der US-Zentrale in Katar akzeptiert wird und die türkischen Truppen im Nordirak nur die Interessen der Türkei wahrnehmen. Im Klartext: Das türkische Militär will sich der Kontrolle der Kurden widmen.

Der Horror der US-Kriegsplaner ist jedoch, dass sich im Rücken der US-Truppen kurdische Freischärler und die türkische Armee eine Schlacht um die Erdölstadt Kirkuk liefern. Sollte die Regierung mit ihrem Antrag für die Stationierung von US-Truppen und der Ermächtigung zum Einsatz der eigenen Armee scheitern, wird der Zeitplan der Bush-Regierung vollends durcheinander geraten. Doch das Land würde einen hohen Preis zahlen. Die USA drohen mit der Einstellung aller Hilfsprogramme und Maßnahmen durch den Weltwährungsfonds. Die Angst vor dem Ruin ist Bushs einziger Verbündeter in Ankara. JÜRGEN GOTTSCHLICH