Schwarz-grüner Flirt zuende

Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer österreichischen Regierung scheitern am Streit über Budget, Bildung und Verteidigung. Jetzt warten Sozialdemokraten und Freiheitliche auf ihre Chance

aus Wien RALF LEONHARD

Erschöpft und wohl auch erleichtert trat Grünen-Chef Alexander Van der Bellen gestern um sechs Uhr früh vor die Presse. Seine Marathonverhandlungen mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatten den erhofften Durchbruch nicht gebracht: „Wir waren überrascht, wie wenig Bewegung in diesen letzten 16 Stunden möglich war.“

Dem Erweiterten Bundesvorstand konnte er nur die Gründe für das Scheitern darlegen. Der Applaus, mit dem das Gremium ihn und seine Stellvertreterin Eva Glawischnig später begrüßten, zeigte die tiefe Skepsis der Basis gegenüber dem kurzen Flirt mit der ÖVP.

Enttäuschung hingegen bei den Schwarzen: ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat: „Schade, dass die Grünen sozusagen auf den letzten Metern der Mut verlassen hat.“ Wo es klemmte, war bekannt: Budget, Verteidigung, Bildungspolitik. Der von der ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossene und dann vor den Wahlen taktisch auf Eis gelegte Ankauf von Eurofighters war für die Grünen nicht akzeptabel. Wolfgang Schüssel ist bei dem Industriemagnaten Frank Stronach im Wort, dessen Konzern besonders von den vereinbarten Kompensationsgeschäften profitieren würde. Für die Grünen ist die österreichische Luftraumüberwachung ohnehin eine Farce. Kompromissvarianten, die den Grünen die Gesichtswahrung und den Schwarzen die lückenlose Landesverteidigung garantiert hätte, wurden verworfen. Die vor zwei Jahren eingeführten Studiengebühren wollten die Ökos unter dem Motto „Freier Zugang zur Bildung“ abschaffen. Auch die als Kompromiss verhandelte Erweiterung des Stipendienangebots war mit der ÖVP nicht zu machen.

Sozialsprecher Karl Öllinger verhandelte mit dem neoliberalen Wirtschaftsminister Martin Bartenstein über die schrittweise Abschaffung der Frühpensionen. Die von ihm reklamierte Beschäftigungsoffensive für Ältere, die verhindern soll, dass diese in die Arbeitslosigkeit abgeschoben werden, war nach Ansicht der ÖVP nicht finanzierbar.

Schüchterne Annäherungen soll es im Bereich der Umwelt- und Integrationspolitik gegeben haben. Doch dürften die zuletzt formulierten Kompromisse zu dünn gewesen sein, um ein unbefriedigendes Ergebnis in anderen Bereichen zu kompensieren. Doppelstaatsbürgerschaft, kommunales Wahlrecht für Ausländer mit dauerndem Aufenthalt und Harmonisierung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, wie von den Grünen gefordert, hätten für die ÖVP eine Kehrtwende in ihrer bisherigen Politik bedeutet. „Die Grünen haben in den vergangenen 36 Stunden geglaubt, sie bekommen in der Schlussphase noch ein paar Zuckerl. Aber da gibt es nichts mehr“, hatte ein ÖVP-Minister gegenüber dem Kurier bemerkt.

Die Kanzlerpartei braucht einen Mehrheitsbeschaffer und keinen Partner, der ihr Programm auf den Kopf stellt. Grüne Pläne für flächendeckendes Roadpricing und Anhebung der Steuer auf Diesel hatten die Wirtschaftslobbys alarmiert. Van der Bellen musste damit rechnen, vom Erweiterten Bundesvorstand in der Luft zerrissen zu werden, hätte er das magere Verhandlungsergebnis absegnen lassen wollen.

Die Grünen befinden sich wieder in der Opposition. Es ist nicht auszuschließen, dass der 59-jährige Professor die Führung an die nächste Generation abgibt. SPÖ und FPÖ, die das schwarz-grüne Turteln mit bissigen und wehleidigen Kommentaren begleitet hatten, warten auf ihre Chance. Jüngste Bemerkungen der Parteispitze lassen aber vermuten, dass nicht einmal die FPÖ so billig zu haben sein wird wie während der Sondierungsrunden.

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