Privatkassen auf dem Prüfstand

Alles wird von allen an Arbeit, Rente und Gesundheit reformiert – und dementiert. Der Chef der Sozialstaatskommission Rürup schreckt eigene Reformcrew mit immensen Kürzungen. Nur die PDS wartet mit ihren Vorschlägen cool bis November ab

von HEIDE OESTREICH

Dieses Wochenende bestimmten die Antreiber die Debatte über Sozialreformen. Einig mit der Union sind sowohl Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) als auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt darin, dass die Lohnnebenkosten sinken müssen. Konkret nannte Clement erstmals einen Krankenkassenbeitrag von 13 Prozent als Ziel – im Moment liegt er bei 14,4 Prozent.

Der mit Hartz erprobte Trick, eine Kommission hinter verschlossenen Türen diskutieren zu lassen, funktioniert anscheinend auch bei Rürup: Alle Welt ist damit beschäftigt, herauszufinden, welche Grausamkeiten die Kommission wohl ausheckt. Das dazugehörige Ministerium kann derweil munter dementieren. So setzte der Spiegel in die Welt, die Rürup-Kommission erwäge die „Abschaffung“ der privaten Krankenkassen und Einsparungen in Milliardenhöhe. Kommissionsmitglied Gert Wagner schränkte ein, es gehe eher darum, mehr Menschen in eine Art gesetzliche Grundversicherung einzubeziehen. Die Privatkassen könnten dann Zusatzversicherungen für weiter gehende Leistungen anbieten. Diskutiert werde das allerdings erst diese Woche. Das Sozialministerium erklärte knapp, eine Abschaffung der Privatkassen „komme nicht in Frage“.

Einig sollen Rot und Grün darüber sein, dass versicherungsfremde Leistungen wie Mutterschaftsgeld, Haushaltshilfen und Kosten für die Antibabypille aus dem Leistungskatalog entfernt werden. Teils sollen solche Ausgaben steuerfinanziert werden, was allerdings dem Finanzminister nicht schmeckt. Ein Konsens könnte auch darüber erzielt werden, dass man Freizeitunfälle aus dem gesetzlichen Katalog streicht. Strittig bleibt dagegen nach wie vor, ob Patienten generell stärker an Arztkosten beteiligt werden sollten, was die Union fordert. Sie würde auch gerne den Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung senken oder den Arbeitnehmern künftige Steigerungen allein aufbürden. Dafür waren bisher nur vereinzelte SPD-Politiker zu begeistern. Den hohen Beitragssätzen wollen Grüne wie Göring-Eckardt mit pauschalen Beiträgen pro Kopf beikommen – ein System nach Schweizer Modell, dessen Abschaffung dort allerdings gerade erwogen wird.

Der Bundesfrauenrat der Grünen formulierte auf seiner Bundeskonferenz am Wochenende frauenpolitische Fragestellungen an die Rürup-Kommission. Frauen sind im deutschen Sozialsystem meist durch „abgeleitete Ansprüche“ abgesichert: Sie sind über ihre Ehemänner „mitversichert“ oder werden, etwa bei der Witwenrente, „mitversorgt“. Bei den heutigen Heirats- und Scheidungsraten allerdings ist dies allerdings ein wackeliges Modell – es erfasst immer weniger Frauen. In einer Arbeitsgruppe wollen die grünen Frauen diese Themen im Auge behalten.

Die allerletzten Reformvorschläge übrigens werden dieses Jahr von der PDS kommen. Sie kündigte an, in einer Reihe von Konferenzen über eigene Vorstellungen zu beraten – und diese im November vorzulegen.