Schily dementiert Pockenwarnung

Experten warnen vor Dramatisierung der Pockengefahr. Regierung sieht sich für Ernstfall vorbereitet, hat aber kein Geheimwissen über Pockenviren in Saddam Husseins Besitz

BERLIN taz ■ Die Panik vor einem Angriff mit Biowaffen ist von den USA und England nach Deutschland herübergeschwappt. Die Bundesregierung habe konkrete Bedrohungsszenarien durch eine Pockenverseuchung verheimlicht, behauptete gestern die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). In Geheimpapieren, die zwischen Ministerien zirkulierten, werde mit 25 Millionen Toten im Falle einer Pockenviren-Attacke gerechnet.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) dementierte die Meldung. Den Behörden lägen keine Beweise vor, dass der Irak Pockenviren vorrätig habe. Der Bundesnachrichtendienst wisse seit längerem, dass der Irak Mitte der Neunzigerjahre mit Kamelpocken experimentiert habe. Für menschliche Pockenviren in Saddams Verfügung gebe es keine Belege. Pockenviren gibt es offiziell nur noch in US-amerikanischen und russischen Versuchslabors. Das Gesundheitsministerium hatte in seiner Vorlage für den Bundestag im August geschrieben, es lägen „dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore in Atlanta und Koltsovo illegal, z. B. in Russland, Irak und Nordkorea, gelagert werden.“ Schily distanzierte sich von dieser Darstellung. Er erneuerte seine Sorge vor einer allgemeinen Terrorbedrohung in Deutschland durch al-Qaida.

Der SPD-Abgeordnete Hans Büttner bezeichnete den FAS-Bericht als „unverantwortliche Panikmache“. Es gebe kein Geheimpapier, sondern eine seit Wochen öffentlich bekannte Anfrage des Gesundheitsministeriums, die als normale Vorlage in den Bundestags-Haushaltsausschuss eingebracht worden sei, um Mittel zur Beschaffung von Pockenimpfstoff zu beantragen. Demnach hat die Opposition bereits seit August vergangenen Jahres Kenntnis von dem angeblich geheimen Papier.

Der unabhängige Biowaffen-Experte Jan van Aken von „Sunshine Project“ sagte der taz, er benote die Pockenvorbeugung der Bundesregierung mit „zwei minus“. „Im Vergleich zu den USA ist das Vorgehen vorbildlich“, sagte van Aken. Es sei richtig, dass keine Panik geschürt werde, dass sich der Bundeskanzler nicht öffentlich impfen lasse und dass niemand aufgefordert werde, Fenster und Türen mit Klebebändern abzudichten. Aus seiner Sicht sei aber auch Rot-Grün mit seinen Aktionen „über das Ziel hinausgeschossen“. Es sei unnötig gewesen, bereits jetzt 500 Personen gegen Pocken zu impfen, darunter vor allem Ärzte und Notfallpersonal.

Bereits Ende Januar hatten britische Ärzte vor Panikmache gewarnt. Sie hielten die psychologische Wirkung bei der Bevölkerung auf intensive Pockenwarnungen für gefährlicher als die Ansteckungsrisiken.

Pocken oder volkstümlich Blattern gelten als hoch ansteckend. Sie gelten seit 1980 weltweit als ausgerottet. Serienimpfungen wurden in Deutschland 1975 abgeschafft. Gegen Pocken kann man vier Tage nach der Ansteckung immunisiert werden. Die Bundesregierung hat kurz nach dem 11. September 2001 wieder Pockenimpfstoffe angekauft. Die Gesundheitsministerien von Bund und Ländern haben seit August vergangenen Jahres gemeinsame Impf- und Schutzpläne ausgearbeitet.

CHRISTIAN FÜLLER