Kuscheliger wird‘s nicht

Millionen weltweit sind sich einig? Abwarten: Die scheinbare Einheitsfront gegen den Krieg könnte schnell zerbrechen

Die Kriegsgegner haben viel weniger miteinander gemein, als es auf den ersten Blick scheinen mag

von BETTINA GAUS

Das war ein schönes Wochenende für alle, die einen Militärangriff gegen den Irak ablehnen. Millionen Menschen in der ganzen Welt gingen für den Frieden auf die Straße. Nur wenige Stunden zuvor hatte UN-Chefinspekteur Hans Blix dem Sicherheitsrat berichtet, dass im Irak bisher keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden seien, und zugleich betont, das Land könne bei entsprechender Kooperation in kurzer Zeit friedlich entwaffnet werden. Kann vor diesem Hintergrund ein flammender, eindringlicher Aufruf gegen den Krieg ungehört verhallen? Muss nun nicht endlich jedermann einleuchten, dass dieser Appell nicht nur das Recht, sondern auch die Vernunft auf seiner Seite hat? Ja, er kann durchaus verhallen. Und nein, das muss nicht jedermann einleuchten.

Diejenigen, die einen Angriff auf Bagdad für ein grundsätzlich geeignetes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele halten, haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber denen, die das nicht tun: Sie müssen nicht mehr differenzieren. Es bedarf für sie keiner Erörterung des Problems mehr, wie groß die Bedrohung durch Saddam Hussein ist – es genügt, dass er überhaupt eine Bedrohung darstellt. Auch die Frage, unter welchen Umständen die Anwendung militärischer Gewalt mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen ist, muss sie nicht mehr beschweren. Sie haben diese Frage für sich beantwortet.

Wenn ein Krieg erst einmal begonnen hat, dann entwickelt er ohnehin eine eigene Dynamik, die nur noch Freund oder Feind kennt. Ist es nicht schon so weit? Die Sängerin Madonna hielt an diesem Wochenende den Hinweis für geboten, dass sie keine Gegnerin des amtierenden US-Präsidenten sei. Sie befürchtete, dass dieser Eindruck entstehen könne, weil in ihrem neuen Videoclip die Schrecken des Krieges thematisiert werden. Das berühmte Gemälde „Guernica“ von Pablo Picasso – ein in Öl verewigter Aufschrei gegen militärische Gewalt – wurde verhüllt, weil es für den US-Außenminister eine unter den obwaltenden Umständen wenig geeignete Kulisse zu sein schien. Die Vorgänge erinnern an die Kommunistenhatz des McCarthyismus vor 50 Jahren. Wer der jeweiligen US-Administration lästig wird, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Weltweit eignen sich wenige Regierungschefs als Widerstandskämpfer.

Mag sein, dass George Bush ein Intelligenzproblem hat. Die gebündelte Sachkenntnis des Pentagons und der US-Geheimdienste hat dieses Problem gewiss nicht, und diese Fachleute müssen nicht von Außenstehenden an das Desaster des Vietnamkrieges erinnert werden. Es dürfte keine militärische Planung geben, bei der sie diese Ereignisse nicht ohnehin beständig vor Augen haben, und es ist offenkundig, dass sie etwas Vergleichbares nie wieder erleben wollen. Schließlich haben die US-Truppen Somalia ja vor rund zehn Jahren genau deshalb fluchtartig verlassen: sobald sich abzeichnete, dass die Mission schwieriger war als ursprünglich erwartet. 1994 hat Washington verhindert, dass dem Völkermord in Ruanda Einhalt geboten wurde. Warum? Weil die USA keine militärische oder moralische Niederlage mehr erleiden wollen. Und keine mehr erleiden werden, wie sich in Afghanistan gezeigt hat.

Auch im Vorfeld dieses Krieges waren zahlreiche kritische Stimmen laut geworden. Die meisten sind nach der Einnahme von Kabul und der Entmachtung des Taliban-Regimes rasch verstummt. Gewiss, die zivilen Opfer. Sehr bedauerlich. Aber war es nicht andererseits ein Segen, dass dem islamistischen Terror ein Ende bereitet worden war? Rechtfertigte die Jagd auf Ussama Bin Laden nicht (fast) jedes Mittel? War es nicht eine erfreuliche Begleiterscheinung des Krieges, dass sich die Lage der Frauen verbessert hatte? Heute ist Afghanistan vom Frieden ebenso weit entfernt wie zur Zeit der sowjetischen Besatzung. Ussama Bin Laden lebt. Die Situation der Frauen verschlechtert sich sogar in der relativ geschützten Hauptstadt. Der Widerstand gegen ausländische Truppen scheint weiterhin ungebrochen zu sein. Ungeachtet all dessen gilt der Feldzug in Afghanistan nach wie vor als überwältigender Sieg der Koalition gegen den Terror. Das ist ein Triumph der Propaganda, der sich im Irak leicht wiederholen könnte.

US-Strategen wissen schon, warum sie sich weder in den Wiederaufbau Afghanistans noch in den des Irak verwickeln lassen wollen. Wenn ein Irakkrieg tatsächlich nach wenigen Wochen zu Ende sein sollte und Saddam Hussein entmachtet ist: Wie viele derjenigen, die am Wochenende für den Frieden demonstriert haben, werden dann meinen, dass sie sich vielleicht getäuscht haben? Dass der Erfolg doch die Mittel rechtfertigt? Die langfristigen Folgen für die Region und die Welt werden – zunächst – kein Thema sein, wenn die Bomben nicht mehr fallen. Auch deshalb, weil sich die kurzatmige westliche Welt daran gewöhnt hat, in ganz anderen Zeiträumen zu denken als alle anderen Nationen. Die scheinbare Einheitsfront der Demonstranten dürfte infolgedessen schnell zusammenbrechen. So kuschelig wie am letzten Wochenende wird es nie wieder sein.

Die Kriegsgegner haben viel weniger miteinander gemein, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Massendemonstrationen sind auch gut für die Seele. Gemeinsam sind wir stark: Diese irrige Annahme wärmt seit je das Herz. Gemeinsam mit welchem Anliegen? Das Ziel, die Inspektionen zu verlängern und zu vertiefen, ist ein Banner, hinter dem sich (noch) alle Gegner eines Angriffs auf Bagdad versammeln können. Aber was soll die Konsequenz sein, falls Saddam Hussein auch in einigen Wochen nicht der demokratische Musterknabe dieser Welt sein wird? Ist Krieg dann legitim? Darüber wird gestritten werden, während sich einige weitere Teilnehmer der Friedensdemonstrationen nach Hause verabschieden.

Das Dilemma, das mit der Irakkrise von Anfang an unauflöslich verknüpft war, ist an diesem Wochenende offen zutage getreten. Mit Rücksicht auf diplomatische Erfordernisse gab es auch für die Bundesregierung zunächst gute Gründe, die zentralen Konfliktthemen nicht sofort streitig zu behandeln. Als da sind, unter anderem: deutsche Spürpanzer in Kuwait, Awacs-Maschinen in der Türkei, Überflugrechte für die Vereinigten Staaten, Nutzung der US-Basen in Deutschland.

Ungeachtet ihrer servilen Haltung gegenüber Washington, die Vasallentreue über Verfassung und Völkerrecht stellt, haben die Unionsparteien ja in einem Punkt Recht: Wer für den eigenen Standpunkt werben will, darf den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Deshalb wirkte die offene Kritik der rot-grünen Regierung an einem möglichen Irakkrieg zwar so lange populistisch, wie die Koalition zugleich den USA jegliche gewünschte Infrastruktur zur Verfügung stellen wollte. Noch vor wenigen Monaten aber ließ sich dieser Kurs wenigstens damit rechtfertigen, dass man hoffen konnte, ein dramatischer Konflikt zwischen den Verbündeten sei so zu vermeiden. Die Zuversicht war nicht abwegig, dass der Frieden damit ein kleines bisschen wahrscheinlicher werden könnte.

Inzwischen haben sich die Voraussetzungen geändert. Der Konflikt ist unleugbar geworden. Keinerlei Entgegenkommen der deutschen Regierung wird noch irgendeinen Einfluss darauf haben, ob die US-Regierung diesen Krieg führt oder nicht. Dann braucht sie sich nun allerdings auch nicht mehr als konziliant zu erweisen – sondern kann tatsächlich jegliche Beteiligung an einem Irakkrieg verweigern. Einschließlich der Überflugrechte, soweit vertraglich möglich. Wer geht jetzt noch mit auf die Friedensdemo? Deutsche Minister?