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Archiv-Artikel

„Kinder sind keine Autos“

Altonaer Elternbündnis startet Aufklärungskampagne gegen Kita-Gutscheinsystem. Mit Flyern – auch auf Türkisch – Plakaten, Postkarten und sogar einer CD mit einem eigenen Protestsong

von KAIJA KUTTER

Das von Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) geplante Kita-Gutscheinsystem ist „unsozial“, wie SPD-Politiker Thomas Böwer unlängst kritisierte. Es zieht ohne sozialen Ausgleich Kita-Plätze aus ämeren Stadtteilen ab. Es ist aber auch unpädagogisch, weil es den Aufenthalt der Kinder in Kitas allein davon abhängig macht, ob Vater und Mutter gerade arbeiten oder nicht. Obwohl Kitas zu den wenigen Inseln in einer Großstadt gehören, in denen Kinder gefahrlos anderen Kindern begegnen.

Dies bringt in Altona Kita-Eltern auf die Barrikaden, die sich zum Bündnis für „Familiengerechte Betreuung“ zusammenschlossen haben und gestern ihre Protestkampagne präsentierten. So benennt ein Flyer die „11 Irrtümer“ des Gutscheinsystems, übrigens auch auf Türkisch. Es gibt eine Protest-CD mit dem Titel „Kürzt nicht bei den Kurzen“, und ein Plakat von der Grafikerin Karen Marx.

„Ich muss aus der Kita raus, weil Papa keine Arbeit hat“, sagt Lukas, 24 Monate, vor schwarzem Hintergrund. Das Plakat soll mit wechselnden Botschaften auf anstehende Termine wie die heutige Demo hinweisen. „Wir wollen, dass die Entscheider einen Pers-pektivwechsel einnehmen“, sagt die Mutter Katrin Lemme. Denn die Politiker verwechselten eine Kita mit einer Garage, in der man beliebig ein- und ausparken kann. Lemme: „Kinder sind aber keine Autos.“ Sie seien kleine Menschen, die auch mit anderen erst mal warm werden müssen, bevor sie spielen und am besten in einen festen Tagesablauf mit ihren Spielkameraden integriert sind.

Der Vater Martin S. rechnet damit, dass sein Sohn künftig viermal die Kita-Gruppe wechseln muss. Zunächst werde er von derzeit acht auf vier Stunden runtergestuft, weil Martin S. arbeitslos ist. Dann stehe dem Vater als Druckvorlagenhersteller eine Fortbildung zu, der Kita-Platz werde also wieder raufgestuft. Anschließend sei er wieder arbeitslos und würde frühestens nach einigen Monaten vermittelt.

„Das Gutscheinsystem entmündigt die Eltern“, sagt Vater Tobias Buck. „Sie können nicht mehr entscheiden, wie lange sie ihr Kind untergebracht haben wollen.“ Und da kleine Kitas über wenig Personal und Flexibilität verfügen, müssen die bei Arbeitslosigkeit runtergestuften Kinder sogar ganz gehen.

Über ihre Homepage www.kita-gutschein.de fordert das Bündnis Eltern auf, Politikern ihre persönliche Situation zu schildern. Buck: „Vielleicht können Eltern die Herzen der Politiker erweichen. Es gibt so viele Situationen, die können Politiker sich nicht ausdenken. Die bietet nur das Leben.“ Etwa die von der allein erziehenden Heide L., die sich von Referendariat und Kleinkind überfordert fühlt, und gern noch mal ein Jahr Elternzeit nehmen würde. Sich das aber nicht traut, weil das Kind dann den Ganztagsplatz verlieren würde. Ähnlich geht es Isa B., die für ihr neues Baby in Erziehungszeit geht und um den Kita-Platz des Älteren fürchtet. Die Psychologin Janine D. ist ebenfalls schwanger und bangt um den Platz für den kleinen Paul. Ihr Fazit: „Das ist ein System, das zweite Kinder verhindert.“ Auch Frauke Brinkmann bekommt ein Baby, ihr steht für ihre dreijährige Tochter ein Halbtagsplatz zu. Brinkmann: „Wir suchen einen guten Kindergarten. Aber mit 4-Stunden-Gutschein bekomme ich den hier im Stadtteil nicht.“ Außerdem lohne sich in der Zeit von 8 bis 12 Uhr kaum die „Rennerei mit einem Säugling unterm Arm“. Brinkmann: „Ich fühle mich nicht unterstützt.“

Das Altonaer Bündnis, das sich mittwochs in der Motte, Eulenstraße 43, trifft, hat Kontakt zu Eltern aus ganz Hamburg aufgenommen und hofft, das für August geplante Kita-System noch zu stoppen. Alternativ fordern sie eine mindestens sechsstündige Betreuung für alle Kinder. Außerdem sollte es eine verfasste Elternmitbestimmung geben. So haben über das Gutscheinsystem bisher nur Stadt und Träger gefeilscht. Eltern finden heute bei einer Anhörung der Bürgerschaft Gehör.

Patriotische Gesellschaft, 17 Uhr, davor: Demo ab 16.30 Uhr