Die Gänsehaut der Peinlichkeit

Auf Friedensdemonstrationen wird Kitsch, in der Sonntags-„FAZ“ Schmierkäse gereicht

Zwanzig Jahre hauptamtliche Friedensarbeit, das überlebt garantiert kein Gehirn

Es geht nicht. „Taschenlampen gegen den Krieg“ – ich kann das nicht. Ich will nicht „alles mitbringen, was leuchtet, strahlt und blinkt“, um „gemeinsam“ die Worte „No War!“ in den Himmel zu schreiben. Nicht in den Berliner Himmel und in sonst keinen. Genau dazu fordert ein Friedensdemonstrationsplakat auf; das Ansinnen ist sogar noch erschütternder als der kumpelig-weltanduzerische Ton. Kleine Taschenlampe brenn, schreibe No War! in den Himmel … Es geht nicht, überhaupt nicht.

Andere haben ihre Gründe gegen den Krieg, ich habe meine. Ohne Krieg und Kriegsandrohung gäbe es keine Legitimation mehr für irgendwelchen Antikriegskitsch. Was für ein herrliches Leben: Wer ein Bedürfnis nach Pathos verspürt, müsste es privat entsorgen und die friedensdemonstrantische Mischung aus Kita und Karneval, aus Wander- und Kirchentag könnte sich nicht mehr als politische Haltung ausgeben. Ältere Damen müssten sich nicht mehr rhetorisch in Friedensnetzwerken verheddern und behaupten: „Frauen sind sicherlich nicht qua Biologie die besseren Menschen, aber qua Rolle kreativer in zivilen Konfliktlösungen.“ Sondern könnten sich ihren Wunsch nach kreativem Qua Qua Quack auf dem Ententeich erfüllen.

Doch George W. Bush hat neben anderen, meist geringeren, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen: Die Politik der US-Regierung hat das Comeback der Friedrich-Schorlemmer-Sorte Mensch in Deutschland erst möglich gemacht. Der Kitsch ist der kleine Bruder des Krieges, und so ist er wieder da, der Schwerter-zu-Pflugscharen-Friedrich, von dem man vergeblich hoffte, er habe sich in Ermangelung eines bis zum Masochismus duldsamen Publikums zum Schweigen der Schorlemmer durchgerungen – ja, ich weiß, diese Formulierung wird mit 50 Euro in den Kalauernapf geahndet, aber die zahlte ich gern für den protestantischen Eitelpickel Schorlemmer, wenn ich nur seine Berg-und-Tal-Predigten nicht mehr hören müsste …

Am Morgen nach der Demonstration erklärt mir die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dass der ästhetische Widerwille gegen das Friedensdemogebräu aus Pfarrheim, schlechter Musik und Eititei nichts gilt. Um ein richtiger Erwachsener zu sein, muss man den naiven Friedenswunsch der Demonstranten politisch denunzieren, und dabei spielt Kitschfreiheit ebenso wenig eine Rolle wie bei Familie Friedenstrott. Der verantwortliche FAS-Politikredakteur Thomas Schmid mahnt und warnt vor der „Flucht aus der Wirklichkeit“ und vor dem Friedliebenden als solchem, dessen „Motiv nicht die Empörung über Gewalt ist, sondern der Wunsch nach Ruhe, Abschottung, kleinem Glück. Nicht Interesse, sondern Desinteresse, nicht Empathie, sondern Gleichgültigkeit ist am Werk“. Auch Händeringen will gelernt sein, und in diesem unappetitlichen Beruf ist Schmid länger tätig als sein Kollege Schorlemmer.

Mit Thomas Schmid meldet sich als Gegner des Friedenskitsches einer zu Wort, der Kitsch aus eigener Herstellung kennt. In den Siebzigerjahren schrieb Schmid den Toten von Stammheim hinterher: „Drei erlöschen nach innen – aber es strahlt nach außen. Noch ihr Tod ein Sprengsatz. Es war ihr Tod. Und es war ein Sieg.“ Angesichts solch heilloser Sieg-heil!-Lyrik wundert es nicht, dass Schmid den Kriegsgegnern die kleinbürgerlichen, schrebergärtnerischen Motive unterschiebt, die ihn selbst einmal vorantrieben. Schmid schreibt: „Es hat die Deutschen tief gekränkt, dass es der Amerikaner bedurfte, um sie aus der Barbarei zu befreien. Sie können das den Amerikanern noch immer nicht verzeihen. Und deswegen wollen sie, dass diese wunde Stelle nicht berührt wird.“

Und genau deshalb demonstrieren in London, Madrid, Rom und überall auf der Welt Millionen Leute gegen die Politik der USA: alles Deutsche, alle fehlgeleitet, verzeihungsunfähig und die wunde Stelle bedeckend, damit sie nicht berührt wird. Wo Thomas Schmid seine kahle Stelle hat, ist klar: am Kopf innen. Zu Zeiten, in denen das die Mode war, war Thomas Schmid einer der linksgestrickten antiamerikanischen Kitschbrüder, die „USA – SA! SS!“ schrien. Diese damalige Dummheit und Widerlichkeit will Schmid zum Beweis hernehmen dafür, dass alle, die heute aus anderen Motiven und in einem sehr anderen Ton gegen die Politik der USA protestieren, so dumm und so widerlich seien, wie er es heute noch immer ist. So zieht Thomas Schmid los als mobiles Ein-Mann-Umerziehungslager gegen Leute, die weder mit seinen früheren Kitschausbrüchen noch mit seiner heutigen Schmierkäseprosa etwas zu schaffen haben. Von RAF-Kitsch zum FAS-Quatsch: Ein Frankfurter Allgemeiner Speichellecker geht seinen Weg.

WIGLAF DROSTE