So verhindern Sie die Reform

von ULRIKE WINKELMANN

1. Veranstalten Sie Bummelstreiks der Arztpraxen, um Politik wie Patienten gleichermaßen gegen sich aufzubringen. Wenn keiner mitmacht, veranstalten Sie eben einen Sonderärztetag.

Wie – niemand hat verstanden, worum es Ihnen bei dem „Dienst nach Vorschrift“ eigentlich ging, als Sie die Praxen tageweise schließen wollten? Nun, dann trommeln Sie halt 250 Ärztevertreter in ein sündteures Kongresszentrum an die feinste Adresse Berlins, den Pariser Platz. Demonstrieren Sie Ihre Macht, indem Sie hier sämtliche Fraktionsvorsitzenden des Bundestages reden lassen. Es tut immer gut, von einer Angela Merkel (CDU) oder einem Franz Müntefering (SPD), einer Krista Sager (Grüne) oder einem Wolfgang Gerhardt (FDP) umworben zu werden. Dass Sie für den Mai sowieso schon einen Ärztetag in Köln geplant haben – wen kümmert’s?

2. Nutzen Sie die Gelegenheit zu leugnen, dass irgendwer sich kompetent über das Gesundheitssystem äußern könnte außer Ihnen selbst.

Schließlich sind Sie Arzt und dulden schon allein deshalb keinen Widerspruch. Außerdem sind Sie der Einzige, der wirklich weiß, wie Krankheit und Gesundheit funktionieren. Aus diesem Grund brauchen Sie auch keine Gesundheitsministerin ernst zu nehmen, ob sie Andrea Fischer heißt oder Ulla Schmidt – haben alle keine Ahnung!

Erst recht aber dürfen Sie jeden Versuch ablehnen, die Gesundheitsausgaben zu deckeln. Denn Sie wissen ja, dass jeder Euro richtig untergebracht ist – bei Ihnen, bei der Pharmaindustrie und nicht zuletzt beim Patienten, der dankenswerterweise keine Ahnung hat, was zu viel und was zu wenig ist.

3. Denunzieren Sie Wissenschaftler, die sowohl Qualität als auch Ausgaben im Gesundheitssystem kontrollieren wollen.

Sollte sich herausstellen, dass die Gesundheitsministerin Berater hat, die Medizin studiert haben – kein Problem. Es kann sich bei Herrn Karl Lauterbach nur um einen üblen Populisten handeln, der seine Fachkenntnisse missbraucht, um auf den Chefsessel des von Ulla Schmidt geplanten „Instituts für Qualität in der Medizin“ zu gelangen.

4. Lehnen Sie konsequenterweise jeglichen Vorschlag zur Qualitätskontrolle ab, der nicht aus Ihren Reihen stammt. Nutzen Sie dazu Vokabular aus Zeiten des Kalten Krieges.

Egal wie das Schmidt’sche Institut aussehen soll, welche Rechtsform es haben wird, und ob es der Ärzteschaft nicht auch ein paar nützliche Behandlungsleitlinien für umsonst an die Hand geben könnte – bezeichnen Sie es als „dirigistische Staatsmedizin“. Das existierende System der Selbstverwaltung, in dem die Ärzte sich selbst kontrollieren dürfen, nennen Sie hingegen „freiheitlich“.

Hierin dürfen Sie sich außerdem der Unterstützung der Union sicher sein. Deren prominentester Gesundheitspolitiker Horst Seehofer (CSU) hat in seiner Amtszeit als Gesundheitsminister gelernt, dass es keine Gesundheitsreform gegen den Willen der Ärzteschaft geben kann.

5. Um die Debatte um die Gesundheitsreform weiter zu verwirren, verwenden Sie das Wort „Solidarität“ mit mindestens so viel Willkür wie die Politiker.

Fordern Sie einerseits immer mal wieder den „Erhalt des solidarischen Gesundheitssystems“ – schließlich tun das alle, und es klingt so nett. Es wird daher keiner merken, was Sie darunter verstehen. Denn „zu 95 Prozent können wir mit dem Unions-Paket sehr gut leben“: Mit diesen Worten haben Sie, Manfred Richter-Reichhelm, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Vorschläge von CDU und CSU begrüßt. Diese möchte vor allem den Arbeitgeberanteil an der gesetzlichen Krankenversicherung einfrieren und große Teile des Leistungskatalogs der Kassen ausgliedern. Sollen sich die Leute halt zusätzlich privat versichern.

Verschleiern Sie Ihre Zustimmung zur Umverteilung der Gesundheitskosten damit, dass Sie als Arzt der beste Anwalt des Patienten sind und nur zu seinem Wohle reden.

6. Demonstrieren Sie Anschlussfähigkeit. Sie vergeben sich nichts, wenn Sie Ideen zustimmen, die keinem gefährlich werden.

So sind zum Beispiel alle für Prävention. Vorsorge kommt immer gut, da kann man auch bedenkenlos Stiftungen und so etwas für gründen. Geht es darum, dass die Kassen sich Beitragsmodelle ausdenken wollen, um ihre Versicherten zu gesundheitsbewusstem Verhalten zu zwingen, sieht das natürlich schon wieder anders aus. Schließlich müssten Sie als Arzt dann ja mit den gesetzlichen Kassen zusammenarbeiten und ihnen Daten über die Patienten weitergeben. Pfui! Erklären Sie dies zu einer Frage von Datenschutz, auch wenn Sie genau die gleichen Angaben über Privatpatienten natürlich an deren Privatkassen weiterleiten.

7. Um Ihrer Sorge um den Patienten Nachdruck zu verleihen, tun Sie beständig so, als wären Sie morgen bankrott.

Erzählen Sie in jede Kamera, dass Sie als niedergelassener Arzt ab dem 15. oder 20. eines Monats Ihre Patienten umsonst behandeln müssen. Erwähnen Sie dabei nicht, dass Sie bis dahin schon genug verdient haben, um auf durchschnittliche 70.000 bis 80.000 Euro Gewinn im Jahr zu kommen. Und da ist das Honorar für die Privatpatienten noch nicht mitgerechnet. Stellen Sie außerdem das Geldproblem in einen Zusammenhang damit, dass die Medizin auch schon ein Nachwuchsproblem habe.

Unterschlagen Sie dabei erstens, dass Deutschland die höchste Ärztedichte der Welt hat, und zweitens, dass die jungen Menschen vielleicht nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern in andere Berufe abwandern. Und erzählen Sie bloß nicht, dass die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern auch immer etwas mit dem Despotismus von Chefärzten zu tun haben!

8. Drohen Sie stets mit dem Äußersten – etwa, das Gesundheitssystem „lahm zu legen“.

War alles nicht so gemeint? Sie als Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe müssen halt ab und zu Ihrer eigenen Basis beweisen, wie Sie mit der Politik umspringen können. Das soll die Ulla Schmidt mal nicht so genau nehmen und dann gleich allen Ihren Neujahrsempfängen und Sonderärztetagen fernbleiben. Signalisieren Sie also ganz nach Gusto auch Kooperationsbereitschaft. Kleiden Sie diese Signale in Formulierungen wie „Wir werden verstärkt in die konstruktive Politik einsteigen“.

9. Was auch immer Sie damit nun schon wieder meinen – vermeiden Sie gleichzeitig, dass die Vielfalt der politischen Haltungen und Interessen von immerhin 360.000 Ärzten sichtbar wird.

Es ist ohnehin besser, wenn die Öffentlichkeit sich an einige wenige Gesichter gewöhnt. Auf keinen Fall darf das Publikum erfahren, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Ärztekammern vor allem den wirtschaftsliberalen und konservativen Teil der Ärzteschaft vertreten. Hauptsache, Politik machen. Es ist Ihnen ja auch vollkommen egal, dass etwa die Kassenärztliche Bundesvereinigung als Körperschaft öffentlichen Rechts gar kein politisches Mandat hat und sich deshalb eigentlich nur zu ärztlichen Fragen äußern dürfte.

10. Sind Sie ein linker Arzt, verhindern Sie, dass Ihre Meinung zur Kenntnis genommen wird.

Ende der Achtzigerjahre und Anfang der Neunzigerjahre gab es noch eine „Ärzteopposition“, die von sich reden machte. Damals verschwendete man Zeit, Geld und Nerven mit Öffentlichkeitsarbeit, veranstaltete am laufenden Meter Pressekonferenzen und schrieb Pressemitteilungen.

Gut, dass Sie von dieser aufreibenden Praxis inzwischen Abstand genommen haben. Sonst könnte die Öffentlichkeit noch glauben, die Ärzteschaft sei gespalten, und würde von ihrem Vorurteil abrücken, dass es den Ärzten eben nur ums eigene Geld geht.