Engel im Schatten des Vulkans

Die kleine Bremer Hilfsorganisation „Projekt Mosaik Guatemala“ betreibt in dem mittelamerikanischen Kleinstaat ein Kindertagesheim für die Allerärmsten. Ein paar Euro ermöglichen es 80 Kindern, aus dem Kreislauf des Elends auszubrechen und zur Schule zu gehen. Eine Geschichte von Jan Kahlcke (Text) und Marcus Meyer (Fotos)

„Ein Schulranzen – das war für viele Kinder schöner als Weihnachten“

Magda Torres humpelt zur Tür. Es ist sechs Uhr morgens. Es dämmert noch. Die Hüfte schmerzt, müsste dringend operiert werden. Aber jetzt sind erst mal ihre Kinder dran – wie jeden Tag. Die eigenen Kinder schlafen noch. Aber draußen, vor der Tür von „El Buen Samaritano“, warten schon die ersten hungrigen Mäuler. Sie sind aus ihren schäbigen Hütten in den Slums von Jocotenango geflohen, einer 30.000-Einwohner-Stadt nahe der Provinzhauptstadt Antigua im Hochland Guatemalas. Geflohen vor überforderten Eltern, vor Alkohol und Drogen, vor Dreck und Mangel. Die Kleinen wissen: In der Kindertagesstätte bekommen sie eine erste Mahlzeit, bei Bedarf saubere Kleidung und ein Lunchpaket für die Schule. Nach dem Unterricht dürfen sie wiederkommen. Es gibt Hausaufgabenhilfe, Spiele und – bevor die Pforten schließen – noch einmal eine warme Mahlzeit. Manchmal dürfen sie sogar über Nacht bleiben – wenn die Mutter wieder einmal mit einem Freier abgeschwirrt ist, oder wenn das Kind krank ist und die Eltern zu wenig verlässlich sind, um ihm regelmäßig Medikamente zu verabreichen.

„El Buen Samaritano“ war mal eine staatliche Kindertagesstätte, aber Guatemalas Rechts-Regierung hat sie vor drei Jahren einfach geschlossen. Da ist der Bremer Verein „Projekt Mosaik Guatemala“ (PMG) eingesprungen. Die private Hilfsorganisation betreibt eine Vermittlungsagentur für freiwillige Sozial- und Entwicklungshelfer im drei Kilometer entfernten Antigua.

Unter jungen Guatemala-Touristen ist die ehrenamtliche Mitarbeit in solchen Projekten ein populärer Weg, Land und Leute kennenzulernen. Mittlerweile ist die Freiwilligen-Vermittlung ein boomender Markt geworden, auf dem sich auch kommerzielle Anbieter tummeln. „Da wollten wir nicht rein rutschen“, sagt Christine Dittmer, „also konzentrieren wir uns ganz auf die Unterstützung des Buen Samaritano.“

Die Bremerin ist Mitbegründerin von PMG. Sie hat das Kindertagesheim drei Jahre lang gemanagt. Jetzt kümmert sie sich von Bremen aus um die Absicherung des Projekts. Das bedeutet zuallererst Spendenakquise: Ein Jahresetat von 35.000 US-Dollar muss aufgebracht werden – bisher fast ausschließlich aus Privatspenden. Für dieses Jahr hofft Dittmer, verstärkt auch Unternehmen für Spenden an den gemeinnützigen Verein gewinnen zu können. Ein kleiner Anfang ist gemacht: Die Bremer Kraft-Foods-Zentrale hat 500 Euro gegeben. Das Geld fließt nicht nur in den Betrieb des Hauses – für bedürftige Kinder werden davon auch die Gebühren gezahlt, die an Guatemalas staatlichen Grundschulen fällig werden.

Außerdem kümmert sich Dittmer um den „Nachschub“ an freiwilligen Arbeitskräften, ohne die das Haus mit seinen rund 80 Kindern nicht existieren könnte. Bislang sind es vor allem Bremer, die per Mundpropaganda von dieser Möglichkeit der alternativen Feriengestaltung gehört haben. Immer zwischen zwei und zehn Volontäre kümmern sich – gemeinsam mit den älteren Kindern – um die Kleinsten.

Besondere Freude haben den Kindern Schüler aus Harpstedt bei Bassum gemacht: Im vergangenen Jahr besuchten sie ihre Partnerschule in Guatemala-Stadt und brachten 15 Koffer voller Sachspenden mit: Medikamente, Kleidung, Spielzeug und sogar Schulranzen. „Wir mussten uns extra ein Auto leihen, um die Sachen aus der eine Stunde entfernten Hauptstadt abzuholen“, erinnert sich Dittmer, „aber es hat sich gelohnt. Ein Schulranzen – das war für viele Kinder schöner als Weihnachten.“

Ein Jahresetat von 35.000 US-Doller muss aufgebracht werden

Sach-Unterstützung erfährt das Projekt auch im Land selbst: Eine Sprachschule in Antigua hat einen neuen Anstrich für das Haus bezahlt, ein Supermarkt und ein Copy-Shop gewähren Rabatt. Ein Armen-Krankenhaus in Antigua behandelt die Kinder, die vom Samaritano kommen, fast umsonst.

Und auch die Eltern werden von den barmherzigen Samaritern in die Verantwortung genommen: Wer gar nichts selbst bezahlen kann, wird zu Küchen- oder Gartenarbeiten herangezogen. So ist aus der riesigen Müllkippe hinter dem Haus ein blühender Gemüsegarten geworden, der fast malerisch am Fuße des mächtigen Vulkans Agua liegt und ein wenig zur Selbstversorgung der Tagesstätte beiträgt. Zur „Belohnung“ dürfen die Eltern etwas Reis und Bohnen mit nach Hause nehmen, damit sie ihren Kindern auch am Wochenende eine Mahlzeit bieten können. Manche können sich darauf nicht verlassen. Sie bekommen noch ein paar Bananen mit auf den Weg und klopfen am Montag als erste wieder an der Tür des „Samaritano“.

Morgen um 19 Uhr wird im Bürgerhaus Hemelingen die Ausstellung „Mit – Gefühl – entdecken“ eröffnet. Sie ist bis zum 20 März zu sehen. Der Bremer Fotograf Marcus Meyer hat die Arbeit im „Buen Samaritano“ dokumentiert. Abzugsfähige Spenden an Projekt Mosaik Guatemala e.V. auf das Konto Nummer 111 001 15 15 bei der Kreissparkasse Syke, BLZ: 291 517 00. Informationen über Volontärsarbeit: pmg_ev@yahoo.com oder Tel. 0174-723 09 27