Allegorien Algeriens

Boualem Sansal gibt sein Bremen Debüt – mit einer Lesung in der Zentralbibliothek

Literarisch überhöht sind sie zwar, Boualem Sansals Schilderungen algerischer Zustände. Doch selten noch hat sich ein bildreicher lyrischer Ton so vollkommen in den Dienst der kritischen Funktion von Literatur gestellt, wie jener von „Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum“: Boualem Sansal ist ein Ausnahmeschriftsteller. Heute um 20 Uhr liest er erstmals in Bremen – in der Zentralbibliothek am Schlüsselkorb.

„Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum“, so heißt die gediegene deutsche Übertragung von Sansals zweitem Roman, die im vergangenen Herbst beim Merlin Verlag erschien, wo auch soeben der preisgekrönte Erstling „Der Schwur der Barbaren“ herausgekommen ist. Gemein ist beiden Werken des 54-jährigen Algeriers ein beißender satirischer Blick auf dieDiktatur seiner Heimat, das Trauma der Kolonialzeit und die gespannteBeziehung zu Frankreich.

Sansal bündelt das in ebenso fesselnden wie allegorischen Geschichten. Farid und Pierre, die Hauptfiguren von „Das verrückte Kind“ sind „Frankreich und Algerien, die Vergangenheit und die Gegenwart“, schrieb taz-Kritiker Reiner Wandler. Beide sitzen in derselben Zelle des Zuchthauses von Lambèse. Beide sind zum Tode verurteilt.

Pierre, in Algerien geborener Franzose, wegen eines Mordes, den er nicht begangen hat. Und Farid als islamistischer Terrorist – obgleich er doch nur ein Mitläufer war. Eine Zwangsgemeinschaft, die ins Erzählen kommt – nicht allerdings, um auf den Schwingen der Fantasie dem Kerker zu enfliehen.

Billige Hoffnungszeichen sucht man hier vergeblich. Oh, immerhin, eine internationale Menschenrechtskommission wird sich das Gefängnis begucken. Das ist wirklich einmal eine segensreiche Wohltat des Westens.

Wäre Sansal ein Pessimist, ein Zyniker gar? Nein. Allenfalls ist der Autor ein Skeptiker, der Illusionen durchschaut – und zu ertragen weiß. Dazu passt, dass er im Industrieministerium zwar einen hohen Posten bekleidet, aber keine entsprechende Funktion ausüben darf. Wie antwortete er im taz-Interview auf die Frage, ob denn für Menschen wie ihn im System Algerien überhaupt ein Platz sei? „Vielleicht“, so Sansal „dulden sie uns als eine Art Narren. Mehr aber auch nicht.“ Benno Schirrmeister

Lesung heute, 20 Uhr, Zentralbibliothek am SchlüsselkorbBoualem Sansal, Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum, Merlin, 318 Seiten, 23 Euro und: Der Schwur der Barbaren, 527 Seiten, 23 Euro