Größenwahnsinn hinter Mauern

Liebevolle Bekenntnisse zum eigenen Mief und die Feier des Eingeschlossenseins: Die Ausstellung „Ich bin‘s“ von der Berlinischen Galerie im Kunstforum der Grundkreditbank zeigt Berlin als eine prächtige Ansammlung von Randfiguren

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Bloß nichts wegwerfen. Wer weiß, welche Puzzleteilchen der eigenen Ausstattung des Ich später nützlich werden können. 1971 zeichnete Martin Rosz akribisch die Bücher-, Bilder- und Fotowände seiner Wohnung in der Kantstraße ab, als vielschichtige, kleinteilige Sammlung einer Suche nach großen Gefühlen und kleinen Gesten. Als stünde der Verlust der Identität unmittelbar bevor, als müsste der Zerfall von all den Splittern, in denen er sich spiegelte, dringend aufgehalten werden, montierte Rosz die Zeichnungen mit braunen Klebestreifen auf braunen Platten wieder zu Wänden, die seine Wohnung gleichsam verdoppelten.

Dann zog er aus. Dies Selbstporträt in allem, was er besaß, wurde später von der Berlinischen Galerie angekauft. In der Ausstellung „Ich bin‘s“, mit der das Museum seine Reihe „Zwischenspiele“ im Kunstforum der Grundkredit Bank beschließt, wird aus der obsessiven Pflege des Eigenbrötlerischen ein Stück urbaner Befindlichkeit. Westberlin in den 70er-Jahren: Dieses liebevolle Bekenntnis zum eigenen Mief, dieses Sicherheitsbedürfnis, dieser Hang, sich auch noch mit seinen Bildern einzumauern… Als die Berlinische Galerie – damals im Martin-Gropius-Bau – die Arbeit von Rosz erstmals in einem eigenen Raum aufbaute, verlief kurz hinter dem Gebäude noch die Mauer – und das kam einem nicht mal seltsam vor.

„Ich bin‘s“ ist eine Zeitmaschine. Die Punks, die Elfie Fröhlich fotografiert hat, die Inszenierung des Glamourösen und Nostalgischen in den Transvestitenporträts von Rolf von Bergmann – wie ist die Aufregung darüber verrauscht, fast schon ein Menschenleben weit scheint dies weg und ist doch bloß zwei Jahrzehnte her. Berlin, denkt man nach einiger Zeit zwischen den Bildern, war besonders gut in seinen Randfiguren. Dieser Blick fürs Andere hat Tradition: Die schönen expressionistischen Zeichnungen lesbischer Paare von Jeanne Mammen, die Künstlerporträts von Dix und Grosz, ein Schaubudenboxer von Conrad Felixmüller. Das Museum half, die 20er-Jahre in den 80ern zu Rennern des Ausstellungsbetriebes zu machen.

Eine Schlüsselfigur der Geschichte der Berlinischen Galerie ist Hannah Höch, die lange vergessene und hier wiederentdeckte Dadaistin. 1960, noch in der Einsamkeit des Abseits der Kunstgeschichte, schrieb sie ein Blatt mit ihrem Namen voll, in Wellen und Spiralen, und nannte die Schriftzeichnung „Ausgebrochener Größenwahn“. Der konnte tatsächlich, jenseits internationaler Maßstäbe, zu einer Berliner Spezialität werden.

Von der Liebe zum Hässlichen und dem Hang zum Kaputten, kurz bevor es Kult wurde, zeugt auch Klaus Vogelsangs „Standbein – Spielbein“ (1976): Die Gedächtniskirche im Hintergrund, alkoholisiert und laut, sieht man ein Paar, das amüsiert einen Berliner Bären und ein Stückchen Stacheldraht als Berlin-Beute schwenkt. Dies ewige Mahnen, dieses Handeln mit Pathos, das war auch ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Städten, das sich tief in die Kunstszene der Stadt eingegraben hat.

Dass Kunst für die Defizite der Geschichte herhalten muss, ist nicht nur typisch deutsch, sondern typischer noch für Berlin. Hier entstanden die „Pawn Boys“ von Edward und Nancy Kienholz, montiert aus Flohmarktfotos von Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Kurz nach seiner Übersiedlung von Dresden nach Westberlin arbeitete Via Lewandowsky 1989 an seinen „Acht Portraits zur Euthanasie“, verfremdeten Zeichnungen wissenschaftlicher Illustrationen. Alle Zeichen in ihnen stehen auf Unglück und Zwang. Die deutsche Geschichte und ihre Verdrängung bildeten in Berlin eine unentwegte Herausforderung, einen nie endgültig abgetragenen Berg, gerade auch für die Künstler, die von außerhalb kamen.

In den 90er-Jahren verliert sich die Spur. Den Arbeiten von Susanne Paesler oder Werner Klotz hat die Stadt keinen Stempel mehr aufgedrückt. Im Gegenteil. Klotz löst in seinen Installationen drehender Spiegel den Standpunkt auf, an dem man sich befindet. Paesler führt in ihren Bildern die Subjektivität des Künstlers durch die Anonymität von Labels und Logos. Aber diese Gegenwart ist nur hauchdünn in der Schau des Museums.

„Ich bin‘s“ bis 21. April, tgl. 10–18 Uhr, im Kunstforum, Budapester Str. 35