Berlin hinterlässt tiefe Spuren

Die Hauptstadt ist so groß wie Ostdeutschland – zumindest was ihren Verbrauch an Ressourcen betrifft. Der Ökologische Fußabdruck bemisst diese überproportionale Beanspruchung. Gegenkonzepte liegen vor, scheitern aber am Faktor Mensch

von JENS PACHOLSKY

Für Produktion und Konsum, Abfall und bauliche Nutzung verbraucht Berlin eine Fläche, die 152-mal größer ist, als es die politischen Grenzen der 891 Quadratkilometer großen Stadt zulassen. Das entspricht etwa der Fläche Ostdeutschlands. Dieser so genannte Ökologische Fußabdruck, ein seit 1994 in der Wissenschaft vielfach angewandter ökologischer Indikator für nachhaltige Entwicklung, analysiert die Fläche, die direkt und indirekt von einer Population beansprucht wird – vor der eigenen Haustür wie auch global.

Der Ökologische Fußabdruck stellt somit die genutzte Fläche der real vorhandenen gegenüber. Er basiert auf der Idee, dass eine Population in den eigenen Grenzen leben sollte. Überschreitet sie ihre (politische) Fläche, gerät sie mit benachbarten Populationen in einen Nutzungskonflikt. Da die Politik einen Indikator verlangt, der auch politisch wegweisend funktioniert, kann analysiert werden, welche Aktivität die meiste Fläche verbraucht und durch welche Reformen dieser Verbrauch reduziert werden kann.

Konkret lässt sich das am Beispiel einer Tageszeitung erläutern. Ihre Herstellung beansprucht zweierlei: Zum einen benötigt sie den Rohstoff Papier, zum anderen Energie für Produktion, Transport und Abfallbehandlung. Während die Rohstoffnutzung einfach in eine forstwirtschaftliche Anbaufläche umgerechnet werden kann, muss Letzteres durch eine Analyse der genutzten Energiequellen (Kohle, Mineralöle, erneuerbare Quellen) in die Menge Kohlendioxid (CO2) konvertiert werden, welche während der Energiegewinnung freigesetzt wurde.

Da aufgrund der Gefahr einer globalen Erwärmung die zusätzliche atmosphärische Anreicherung von CO2 verhindert werden soll, muss das ausgestoßene CO2 durch Grünflächen gebunden werden. Der Energieverbrauch kann also in eine hypothetische Energiefläche umgewandelt werden.

Durchschnittlich verbraucht somit ein Tageszeitung knapp 0,5 Quadratmeter für den forstwirtschaftlichen Anbau und 0,6 Quadratmeter für die Produktion. Landet die Zeitung später in der blauen Tonne und wird recycelt, kommen noch rund 0,3 Quadratmeter hinzu. Eine normale Entsorgung verbraucht die doppelte Fläche.

Dieses Prinzip der Anbau- und Energieflächennutzung lässt sich auch auf den Nahrungsmittelkonsum sowie Energie- und Mineralölverbrauch anwenden. Der Nutzungsfläche wird noch eine zusätzliche kategorische Fläche der Biodiversität hinzugefügt. Nach einer Empfehlung der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung sollen mindestens 12 Prozent der Gesamtfläche von jeglicher Nutzung ausgeschlossen werden und für die Erhaltung der Artenvielfalt fungieren.

Betrachtet man Berlins Fußabdruck für das Jahr 2000, zeigt sich, dass die Stadt weit über ihre Verhältnisse lebt (siehe Grafik in der Mitte). Denn allein die Hauptstadt nimmt eine Gesamtfläche ein, welche mit rund 135.300 Quadratkilometer etwas größer als die Ostdeutschlands ist. Da auf den Flächen außerhalb Berlins auch Menschen leben, die eigene Fußabdrücke produzieren, kommt es zur Übernutzung der Umwelt. Die Ökologie wird destabilisiert und droht letztlich – da durch Überschneiden mehrerer Fußabdrücke oftmals Vielfachnutzung existiert – zu kollabieren.

Berlin steht mit diesem Effekt nicht allein (siehe Grafik links unten). Auch wenn aufgrund seiner guten Infrastruktur, vergleichbar hoher Recyclingrate und differierenden Konsumpattern Unterschiede zu anderen europäischen Großstädten erkennbar werden. 2001 verbrauchte der durchschnittliche Londoner eine Fläche von 3,3 Fußballfeldern, verglichen mit den 2 Fußballfeldern pro Berliner. Insgesamt nahm London eine Fläche doppelt so groß wie Großbritannien ein. Fragt sich, wohin mit all den anderen Briten?

Mathis Wackernagel und William Rees, die Konzipienten des Ökologischen Fußabdruckes, kalkulierten unlängst, dass eine Welt, in der alle Menschen den durchschnittlichen US-amerikanischen Lebensstil leben würden, die Fläche von drei Erden benötigte. Diese scheinbare Normalität der Ergebnisse, die sich in westlichen Nationen wiederholen, zeigt nur, wie dringend notwendig eine übergreifende Veränderung des Business-as-usual-Denkens geworden ist.

Berlin könnte seinen Ökologischen Fußabdruck dramatisch reduzieren. Allein durch eine Umstrukturierung der Energiequellennutzung könnte der Fußabdruck um bis zu 8 Prozent reduziert werden. Denn bisher stammen nur rund 1 Prozent der Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen.

Da das Abfallproblem allein ein Drittel des Ökologischen Fußabdruckes ausmacht (siehe Grafik rechts unten), entsteht auch hier Handlungsbedarf. Eine mögliche Reduktion des Abfallaufkommens um 50 Prozent könnte den Fußabdruck um weitere 12 Prozent verkleinern. Dieser kann nicht auf einer reinen Erhöhung der schon vergleichbar hohen Recyclingrate basieren, da deren Auswirkung auf den Fußabdruck des Abfalls minimal ist. Recycling bleibt dennoch wünschenswert, da hier Rohstoffe für die Produktion von Nutzungsgütern eingespart werden können, was einen größeren Effekt erzielen würde.

Für die entscheidenden Veränderungen, vor allem bezüglich der beiden Hauptkomponenten Abfall und Nutzgüterkonsum, welche 71 Prozent des Fußabdruckes ausmachen, bleibt der Mensch die Instanz des Handelns. Etwas, was er jedoch am wenigsten akzeptiert und was sein Desinteresse schürt. Hierzu gehört ein Überdenken des Konsumverhaltens, das derzeit mit einer Menge Packungsmüll und Überfluss einhergeht. Neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis sollte auch dem Verpackungs-Inhalts-Verhältnis mehr Augenmerk geschenkt werden. Das gilt genauso für den Gewerbeabfall.

Der verführenden Werbung eines Produkts sollte seine Notwendigkeit gegenübergestellt werden. Denn wenn letztlich die Philosophie des „Wachstums an Menge und Größe“ dem Gedanken des „Wachstums der Qualität“ weicht, profitiert nicht nur die Umwelt, sondern vor allem auch der Mensch.

Diese Weisheit ist wahrlich nicht neu, doch noch immer steht die nachhaltige Entwicklung, dieses abstrakte Schlagwort vergangener Jahre, am Anfang ihres Handels. Das liegt zum einen an der Neuheit des Konzepts in der konkreten Politik, zum anderen aber an dem Unwillen und der Ressourcenknappheit von dieser.

Für die Abteilungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung spielt Nachhaltigkeit zwar eine große Rolle, doch knirscht es in allen Bereichen. „Wir haben vorrangige Handlungsfelder, müssen aber auch aussortieren, wo es dringend und möglich ist, und vor allem, wo wir Leute haben, die gewillt sind, etwas zu tun“, erklärt Andreas Faensen-Thiebes, Leiter des Agenda-Büros der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Zwischen Planung und Politik klafft die bekannte Lücke und scheint sich eher zu weiten als zu schließen. Die Enquete-Kommission für nachhaltige Entwicklung ist seit dem Regierungswechsel vor eineinhalb Jahren auf Eis gelegt – und der Vorschlag einer Wiedereinsetzung trifft auf taube Ohren.

Hartwig Berger, bis zu ihrer Auflösung im September 2001 Vorsitzender der 14. Enquete-Kommission „Lokale Agenda 21/Zukunftsfähiges Berlin“, ist vertraut mit dieser Apathie: „In einem Brief an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses und alle Fraktionsvorsitzenden Mitte Dezember letzten Jahres hatte ich die Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission vorgeschlagen und noch einmal begründet. Bezeichnend für den ‚Stil‘ der Berliner Politik ist, dass niemand der Angeschriebenen geantwortet hat.“

Der Leiter des Agenda-Büros, Faensen-Thiebes, findet eine Erklärung: „Sie haben andere Prioritäten, und es gibt wenige Politiker, die sich übergreifende Gedanken machen wollen. Sie handeln sehr pragmatisch, um die Lobbys leichter bedienen zu können.“

Jens Pacholsky (23) hat den Ökologischen Fußabdruck Berlins im Rahmen eines Umweltmanagement-Studiums an der Stirling University in Schottland untersucht. Derzeit bereitet er seine Promotion zur Nachhaltigkeit in Berlin vor