im auge des blizzard von PIA FRANKENBERG
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Nach Monaten des „Showdown with Iraq“ (CNN) erklärte die amerikanische Regierung vor ein paar Tagen Terroralarmstufe „Orange“. Auf allen Fernsehkanälen wurden wir von höchster Sicherheitsstelle aufgefordert, uns mit Isolierband und Plastikfolie gegen böse Gase und meuchelnde Keime auszurüsten, was meinem Sohn zufolge zwei Optionen offen ließ: trotzdem verseucht zu werden oder an Sauerstoffmangel zu ersticken. Da gingen wir dann lieber demonstrieren.

Aber das ist Schnee von gestern, im wahrsten Sinne. New York liegt unter Schneemassen begraben, und ich bin deprimiert. Zurzeit befinden wir uns im schwersten Blizzard seit 1996, so verkünden jedenfalls aufgeregt die Medien, und was man von denen zu halten hat? – siehe oben.

Allein die Erwähnung des Jahres 1996 lässt allerdings schon wehmütige Erinnerungen aufsteigen an eine Zeit, in der ich gerade mal seit einem Jahr im „Land of the (inzwischen nicht mehr ganz so) Free“ lebte, der Präsident Saxofon spielte, Hamburger mampfte und widerwillig und vergebens versuchte, seine Gewichtsprobleme wegzujoggen. Später überstanden wir mit ihm die Lewinsky-Affäre und wünschten uns heimlich, dass es sich wenigstens gelohnt hatte für den netten Kerl da im Weißen Haus. Heute haben wir bei aller Wehmut die Schande von Ruanda und sein Umfallen bei den Wohlfahrtsgesetzen und vieles andere nicht vergessen, aber trotzdem: Der Mann war ein Mensch, und den perfekten Präsidenten muss man erst noch schnitzen.

Doch jetzt regiert das Land eine Propagandamaschine. Einer Umfrage zufolge glauben über 60 Prozent der Amerikaner, alle World-Trade-Center-Terroristen seien Irakis gewesen. Aus dem Fernsehen plärren so genannte Journalistinnen so genannte Terrorwarnungen, die Leute machen Hamsterkäufe und horten Wasser, Transistorradios, Batterien und Konserven. Isolierband und Plastikfolie sind ausverkauft, und der Präsident agitiert Soldaten eines Marinestützpunktes in der Sprache des Stürmer („Wir räuchern sie aus, wir jagen sie aus ihren Löchern“).

Wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich meine eingeschneite Stadt wie eine Metapher für das Land, das langsam unter einer schweren, kalten Decke erstickt wird, bis kein Laut mehr zu hören ist. „Wow, we took Third Avenue!“, strahlte mich vor ein paar Tagen noch ein älterer, in vornehmes Tuch gehüllter Herr auf der New Yorker Friedensdemo an. Wir brüllten munter „Whose streets?“ – „Our Streets!“, schüttelten den Propagandamüll von CNN und Fox News aus unseren Ohren und waren stolz, für kurze Zeit die Öffentlichkeit zurückerobert zu haben. Als wir steif gefroren zu Hause ankamen, durften wir ein paar Stunden unseren kleinen Sieg feiern, bis die TV-Medien zum Kriegsgegnerbeschimpfen zurückkehrten. Vor meinem Fenster herrscht eisige Stille, und ich denke an das Schild eines Demonstranten, das so treffend die Psyche des Präsidenten erklärte: „What do I care what the American people think? They didn’t vote for me!“ Besser kann man es nicht sagen.