Zu Besuch bei Madame Pio

Die bekannte Bagdader Antiquitätenhändlerin will auch im Falle eines Krieges ihre Heimat Irak nicht verlassen. So bringt sie ihre Waren bei sich zu Hause in Sicherheit, aus Angst vor Chaos und Plünderungen. Kunden kommen sowieso kaum noch

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Sie war bei jeder meiner Reisen nach Bagdad einen Besuch wert, die Pio-Gallerie unweit des Tigris, in einer kleinen Passage im Zentrum der Hauptstadt. Wer durch die Tür des Antiquitätenladens trat, über der eine schwere Glocke den Besucher ankündigte, der tauchte in eine fast unwirkliche Traumwelt ein, mit irakischen und persischen Teppichen, alten kurdischen Hochzeitskleidern, blank geputzten silbernen Samowars und antiken schweren Truhen. Über dem Ganzen lag stets der Geruch der reichhaltigen irakischen und osmanischen Vergangenheit. Und mittendrin saß Madame Layla Yussuf Pio, die Grande Dame einer der besten irakischen Antiquitätensammlungen.

Auch jetzt sitzt sie wieder hinter ihrem massiven alten Holzschreibtisch mit den Ausmaßen zweier Tischtennisplatten und blickt beim dunklen Schlag der Glocke erwartungsvoll in Richtung Eingang. Zunächst fällt auf, dass es, anders als früher, in dem Laden ziemlich düster ist. Ein Blick auf die oberen Fenster verrät, warum. Madame Pio hat sie letzte Woche mit grauen Blechen verrammeln lassen, aus Angst vor bevorstehenden Bombenangriffen. Auch der Fenstersims ist leer, genauso wie ein großer Teil der Vitrinen. Selbst der Stapel mit den Teppichen ist auffällig niedrig. Gut zwei Drittel ihrer Waren habe sie bereits zusammengepackt und nach Hause transportieren lassen, erzählt die 52-Jährige.

„Wenn es losgeht, möchte ich bei all meinen alten Dingen sein, die mir wichtig sind“, sagt sie. Kundschaft komme kaum noch. Die meisten Ausländer haben die Stadt verlassen, genauso wie viele reiche Irakis, die normalerweise zu ihren besten Kunden zählen. Verkaufen tut auch niemand mehr etwas. Die meisten halten an dem fest, was sie haben, und hoffen, es durch die unsicheren Zeiten zu bringen.

„Seit die Fensterbleche das natürliche Licht aussperren, ist das hier ein trauriger Ort geworden“, bemerkt Madame Pio. „Wenn du die wirklichen Farben eines Teppichs sehen willst, brauchst du Tageslicht.“ Es mache einfach keinen so großen Spaß mehr, in der Sammlung herumzukramen.

Nicht nur Bombardements, auch ein möglicherweise ausbrechendes Chaos lässt sie wie andere Ladenbesitzer Plünderungen befürchten. Ein befreundeter Silberhändler habe ihr erzählt, dass er all seine kostbaren Waren nach Hause schaffen und selbst den Safe im Geschäft offen lassen werde, damit sich jeder überzeugen kann, dass dort nichts zu holen ist.

Die Galerie Pio ist fast ein halbes Jahrhundert alt. Seit den frühen 70er-Jahren hatte Madame Layla ihrem Vater Yussuf Pio, einem bekannten irakischen Dichter, im Geschäft geholfen und von ihm alles gelernt, was es über irakische Antiquitäten zu wissen gibt. Seit über 20 Jahren schmeißt sie den Laden nun alleine und ist inzwischen so gut geworden, dass sie im französischen Kulturinstitut in Bagdad regelmäßig Vorträge über kurdische Kelims, persische Teppiche oder alte irakische Textilien hält.

Heute liegen gerade ein paar alte seidene Kissenbezüge auf dem Boden. Sie streicht liebevoll darüber und erzählt, wie sie vor einem Jahrhundert mit den geschickten Händen einiger irakischer Nonnen mit Blattsilber bestickt wurden. Damals waren diese Bezüge bei reichen Bagdadis als Hochzeitbeigabe hoch begehrt. Sie selbst, erzählt die einer bekannten assyrisch-katholischen Familie entstammende Madame Pio, gehe in ihrer Sammlung durch Phasen. Mal sehe sie sich jeden Tag ihre Teppiche, mal ihr Silber, mal ihre Textilen an. Und es fällt ihr sichtlich schwer, alles jetzt zusammenzupacken.

Freunde in Beirut haben ihr und ihrem Mann angeboten, für die nächsten Wochen sicherheitshalber in die libanesische Hauptstadt zu kommen. Auch ihr Schwager in Hamburg habe sie gefragt, ob sie nicht kommen möchte. Der sei übrigens am Wochenende auch auf der großen Demonstration in Berlin gewesen, erzählt sie stolz. Kurz bevor er losfuhr, habe er noch einmal angerufen. Madame Pio hat lange mit ihrem Mann diskutiert, ob sie diese Angebote nicht annehmen sollten. Sie haben sich dagegen entschieden. Gerade letzte Woche war Madame Pio noch zu einem Kurzbesuch im jordanischen Amman. Alle hatten sie für vollkommen verrückt erklärt, als sie sich wieder auf den Weg nach Bagdad machte.

Ihre Generation, sagt sie, kann hier nicht weggehen. „Wir haben viel zu gute Erinnerungen an das alte Bagdad mit seinen Restaurants, Bars und Nachtklubs und seinen Besuchern aus aller Welt.“ Morgens habe man in der Stadt nach Antiquitäten gesucht, nachmittags sei man in eine Kunstgalerie gegangen und Abends folgte meist eine Einladung zu einer Dinnerparty. Und überhaupt, sagt sie, wohin soll eine Antiquitätenhändlerin gehen, deren ganzes Leben aus privaten verbliebenen Dingen aus Bagdads Vergangenheit besteht.

Also macht sie wie gehabt weiter, öffnet jeden Vormittag und jeden Nachmittag ihre immer leerer werdende Galerie und harrt der Dinge, die als Nächstes auf sie zukommen. Sie sei von Natur aus optimistisch. Sie lebe nach dem „Prinzip Hoffnung“, denn, sagt Madame Pio, „ohne Hoffnung bist du schon tot, bevor du gestorben bist“.