Kopf und Bauch vereint

Elf Studierende und eine Dozentin vom Institut für Volkskunde fertigten eine Ethnographie des FC St. Pauli an und entpuppten sich mitunter als Fan

Laurence Heesch

von OKE GÖTTLICH

Es muss mit dem Untersuchungsobjekt zu tun haben, dass sich das Projektseminar „FC St. Pauli – Zur Ethnographie eines Vereins“ aus einer fußballteamgroßen Gruppe von elf Studierenden und einem Coach, Privatdozentin Brigitta Schmidt-Lauber, zusammensetzt. Gemeinsam erforscht das Team die alltagskulturellen Zusammenhänge zwischen Fan und Verein.

Ein Unterfangen, das sich durch die jüngsten sportlichen wie vereinspolitischen Unwegsamkeiten schwieriger gestalten sollte, als es die monatelange Feldforschung wissenschaftlich ohnehin schon ist. „Der Untersuchungsgegenstand hat sich durch den Abstieg und die internen Querelen fortwährend verändert“, so Dozentin Schmidt-Lauber, die in Kollegenkreisen mit ihrer Untersuchung für „wohlwollendes Lächeln“ sorgte. Inzwischen würde selbst der Small-Talk mit der Bibliothekarin häufig zum Fußball-Expertengespräch, freut sich die Kulturanthropologin. Zehn Arbeiten beschäftigen sich mit dem spezifischen Image des Vereins, seiner lokalen und sozialen Bedeutung sowie den Ritualen der Fans. Dazu wurden 70 qualitative Interviews mit Fans, Interessierten, Repräsentanten und Angestellten des Vereins durchgeführt, Fragebogen ausgewertet und Recherchen getätigt.

Herausgekommen sind neben der guten Arbeit „Ultramanie“ von Philip Falk, der die Fangruppierungen Ultras und Passanten untersucht hat, die Bestätigungen vieler Klischees, die den „etwas anderen Fans“ des FC St. Pauli schon nachgesagt wurden, selbst wenn die Heterogenität der Fans nochmals hervorgehoben wurde. Kaum verwundert über den geringen Neuigkeitswert zeigte sich Medienkoordinator Christof Hawerkamp, der vermutet, „dass es zum St. Paulianer gehört, sich selbst fast wissenschaftlich mit dem Thema auseinander zu setzen“.

„Dann wird die Leidensfähigkeit in den Urlaub geschickt.“

Die Erkenntnis, dass sich viele als Underdogs, auch aus dem eigenen sozialen Verhältnis heraus, mit dem Verein identifizieren, ist daher ebenso bekannt wie die Antwort einiger Befragter, dass die Beziehung zum FC St. Pauli ähnlich einer Partnerschaft ist. „Man lässt den Freund nicht hängen, wenn es ihm schlecht geht“, sei eine häufige Antwort gewesen, wie Andrea Rützel bei ihrer Untersuchung mit dem Thema „Einst Weltpokalsiegerbesieger – jetzt Absteiger der Liga. Will they (n)ever walk alone?“ feststellen konnte.

Eine rhetorische Frage, wie viele der jungen Wissenschaftler während ihrer Untersuchungen bemerkten. „Selbst der kühlste Forscher ließ sich von der kollektiven Begeisterung anstecken“, weiß Brigitte Stargardt, die sich der Wandlung der Seminarteilnehmer von Fußballignoranten zu Anhängern widmet. Emotionen als Quelle wissenschaftlicher Untersuchungen. Eine Feststellung, die auch Stargardt beobachtet: „Trotz emotionaler Bindung ist die Reflexion der Reaktion vom Kopf in den Bauch wissenschaftlich nutzbar.“ Erst wenn St. Pauli mal Deutscher Meister würde, müssten neue Untersuchungen die allseits bekannte Leidensfähigkeit des St. Pauli-Fans neu bestimmen. Oder wie es Laurence Heesch ausdrückt: „Die wird dann in den Urlaub geschickt.“