Politik operiert schizophren

Betr.: „Helmut Schmidts Schnauze“ und „Ehrbar, aber nicht im Bilde“, taz bremen vom 10. und 11.2.03

Ist der ehrbare Weltpolitiker oder der Verwalter Böhrnsen nicht im Bilde? Über den Nordstaat wird seit nahezu 50 Jahren nicht nur durch sonntägliche Fensterreden diskutiert. Auch Schmidt war vor über 40 Jahren als Mitglied des Hamburger Senats und Europäer daran beteiligt. Mal wollten die reichen Agrarländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen nicht helfen, die Hansestädte wieder auf die Beine zu bringen, mal hatten die gleichen Länder Angst vor den Wirtschaftswunderstädten. Mal wollte Kai-Uwe von Hassel oder Ernst Albrecht nicht in den SPD-Schoß. Heute wollen die Speckgürtelkommunen die Vorteile eines Wirtschaftszentrums zum Nulltarif. Immer aber bangten einige Entscheidungsträger um ihre Pfründe. In der gleichen Zeit wuchs Europa zu einem Fast-Staat zusammen. Die Bürger sind in all den Jahrzehnten nie gefragt worden.

Die Bremer Politik operiert in dieser Frage schizophren. Verbal ist die Diskussion über den Nordstaat ein Sakrileg. In der praktischen Politik wird so gehandelt, als wenn die Tage des Landes Bremen lange gezählt sind. Mit Sanierungsgeldern und Schattenhaushalten wird auf Kosten einer zukünftigen Nordregierung versucht, die Stadt aufzupeppen. Bürostädte werden an den Stadtrand verlegt, damit die besser Verdienenden leichter nach Stuhr oder Lilienthal ziehen können. Der Großmarkt wird gegen den Willen der Betroffenen als Riegel vor ein Sahnegrundstück gelegt, damit dort in den nächsten 50 Jahren kein attraktives Wohnen und Arbeiten möglich ist. Der einzige Politiker mit anderen Plänen scheint Jens Eckhoff zu sein. Wenn nach seinen Vorstellungen erst mal Bremen Luxemburg und Monaco den Rang als Steuerparadies abgelaufen hat, werden die vielen leeren Büros im Zentrum für all die neuen Briefkastenfirmen gebraucht.

Mir als relativ junger Wahlbremer ist es ziemlich egal, ob ich meine Steuererklärung nach Hamburg, Hannover oder an den Wall mailen muss, solange ich auch nach 2007 auf dem frisch gepflasterten Ziegenmarkt nicht zwischen leeren verslumten Geschäften meinen Wein trinken muss und solange meine Geschäftsfreunde noch gerne zu mir nach Bremen kommen, um ums Eck ihren Kaffee oder abends die Kultur mit mir zu genießen. Meinem Oberverwalter kann ich auch noch auf dem Fahrrad zuwinken, wenn er kein mängelverwaltender Regierungschef mehr ist, sondern ein Bürgermeister einer funktionierenden Wirtschaftsregion. Vielleicht würde er mich dann einmal umarmen.

Was wäre heute z.B. Hamburg ohne die Gebietsreformen von vor 70 Jahren? Harburg gehörte zu Stade, Wilhelmsburg zu Winsen, Bergedorf zu Lauenburg, Wandsbek und Rahlstedt zu Stormarn, Fuhlsbüttel zu Segeberg und Altona zu Dänemark. Hamburg wäre ein Dorf ohne Straßenbahn. Chrischan Jürgens