familienfeiern und andere fastschlägereien von HARTMUT EL KURDI
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Das Schlimme an der Verwandschaft ist, dass man nehmen muss, was rumliegt. So bin ich zum Beispiel durch Anheirat mit einem Iraker verwandt, der auf Familienfeiern gern erzählt, wie er damals in den Straßen Bagdads getanzt habe, als Saddam Hussein bei seiner Machtübernahme alle verfügbaren Gegner an die Laternen knüpfen ließ. Bei den ebenfalls irakischen, aber regimekritischen Verwandten des Saddamisten kommt das nicht gut an und führt regelmäßig zu arabisch-leidenschaftlichen Tumulten und Fastschlägereien. Aber trotzdem wird er immer wieder eingeladen. Ist halt die Verwandtschaft.

Wahrscheinlich bin ich deshalb Mitglied in der Ikea-Family geworden. Weil ich dachte, dort könne man nach Belieben ein- und austreten. Aber das stimmt nur auf der formalen Ebene. Besitzt man viele Bücher und hat man einmal angefangen diese in „Ivar“ zu verstauen, kann man sich auch einen Elch aufs Skrotum tätowieren lassen. Oder eben Mitglied in der Ikea-Family werden.

Auch ansonsten ist dieser virtuelle Familienanschluss wie jeder andere: Die Geburtstagskarte kommt zwei Wochen zu spät und befiehlt, man solle schleunigst vorbeischauen, es läge da noch ein Geschenk am Counter. Man gibt nach, geht hin und bekommt eine „Massagespinne“ geschenkt, ein kleines, handgroßes, dreibeiniges Holzding, mit dem man sich von einem anderen Familienmitglied den Rücken durchkneten lassen soll.

Mit genau dieser Art von Geschenken, unnützen Reformhaus-Schnäppchen, frustriert meine Tante Gerda seit ich denken kann die gesamte Sippe. Bloß legt sie fiesepetrigerweise stets noch eine Packung muffiger Haselnuss-Schogetten dazu, die man vor ihren Augen vergnügt verkosten muss, um zu beweisen, dass sie wie immer den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Dem Geschmack nach stammen die Schogetten aus einem 1975 anlässlich einer Süßwarenladenräumung getätigten Großeinkauf und lagern wahrscheinlich seitdem in Gerdas Kohlenkeller unter zwei Zentner Mottenkugeln. Aber was soll man machen? Die Familienzicke geben und dem Tantchen das widerwärtige Zeug ins Gesicht spucken? Also täuscht man Freude vor und schweigt. Wie bei Ikea. Dort nehme ich lächelnd die „Massagespinne“, stecke sie in die Tasche und vollende mit dieser demütigen Haltung die perfekte Familiensimulation.

Einmal allerdings habe ich wirklich versucht, diese Verwandtschaft aufzukündigen. Demonstrativ ließ ich meine Mitgliedschaft in der Ikea-Family auslaufen, weil ich erfahren hatte, dass der Geschäftsgründer Ingvar Kamprad als junger Mann Nazi gewesen war. Nach einem drei viertel Jahr exzessiver Antiquariatsbesuche brauchte ich jedoch neue Regalteile, und außerdem fiel mir ein Foto in die Hand, auf dem mein Großonkel Herbert in den letzten Kriegstagen mit seiner neuen SS-Uniform protzt. Scheiß drauf, dachte ich, und log mir noch in die Tasche, dass Onkel Ingvar sich im Gegensatz zu Onkel Herbert wenigstens öffentlich entschuldigt habe. Dann kehrte ich in den Schoß der Familie zurück.