Baldiger Kommandowechsel auf dem Balkan

Anstelle der Nato wird künftig die EU mehr und mehr die Verantwortung für die Friedenssicherung übernehmen. Die USA sind bereits auf dem Rückzug. Diplomaten versichern, dass dies nichts mit Differenzen in der Irakfrage zu tun habe

SARAJEVO taz ■ Noch hat die Nato bei den internationalen Truppen auf dem Balkan das Heft in der Hand. Bald jedoch schon wird die Europäische Union (EU) mit eigenen Truppen dort Verantwortung übernehmen. Schon in den nächsten Wochen wird bei den 400 Mann der internationalen Friedenstruppen in Mazedonien die Fahne der EU gehisst. Und auch für Bosnien ist die Entscheidung schon gefallen. Ab Ende 2004 soll die EU die internationalen Sfor-Truppen führen und damit die Nato in dieser Funktion ablösen. Selbst in Bezug auf die Kosovo-Force (Kfor) wird der Einfluss der Europäer wachsen.

Fast unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit werden auf dem Balkan somit Weichen für eine größere militärische und politische Rolle der EU gestellt. In Bosnien hat zudem eine europäische Polizeitruppe seit dem 1. Januar 2003 die UN-Polizei abgelöst, die seit dem Kriegsende hier für die Supervision und Ausbildung der lokalen Polizeikräfte zuständig war. 460 der geplanten 500 Polizisten sind schon im Lande. Auch im Kosovo soll das europäische Element bei den Polizeikräften im Rahmen der UN-Mission weiter gestärkt werden.

Dafür sind vor allem pragmatische Gründe ausschlaggebend. Denn die UN-Polizeimacht, die zum Teil selbst aus Staaten kommt, die nicht unbedingt Vorbild für den Aufbau einer an demokratischen Werten orientierten Polizeitruppe sind, ist im Kosovo oftmals überfordert. Schon jetzt haben die Europäer in der Kommandostruktur die Führung übernommen. So ist der Chef der UN-Polizei im Kosovo ein Deutscher. An der Position der UN-Mission soll aber grundsätzlich nicht gerüttelt werden.

Parallel zum wachsenden Engagement Europas auf dem Balkan deutet sich an, dass die USA sich aus diesem Krisengebiet, zumindest teilweise, zurückziehen wollen. Der Anteil der Amerikaner an den internationalen Friedenstruppen in Bosnien wurde gesenkt. Vermutlich befinden sich von einst mehr als 20.000 Mann jetzt weit weniger als 3.000 im Lande. Diplomaten vor Ort gehen davon aus, dass die USA Ende 2004 ganz abrücken, wenn die Europäer die Security-Force übernehmen. Die EU-Truppe wird dann wie die jetzt etablierte EU-Truppe in Mazedonien nicht mehr vom Nato-Kommando Europa-Süd in Neapel, wo bisher immer ein Amerikaner Kommandeur war, sondern von Brüssel, vom militärischen Ausschuss der EU aus befehligt.

USA bleiben weiter an der Seite der Europäer

Im Kosovo dagegen haben sich die USA auf ein längeres Gastspiel eingerichtet. Die im Militärlager Bonsteel aufgebauten Kasernen und nachrichtendienstlichen Anlagen – so kann vom Kosovo aus der Telefonverkehr eines großen Teils Europas und des Nahen Ostens abgehört werden – verweisen darauf. Europäische Experten warnen jedoch davor, dieses Interesse zu überschätzen. Die USA könnten mit ihren Flugzeugträgern im Mittelmeer und ihren Satelliten die Anlagen im Kosovo ersetzen.

Diplomaten in Sarajevo wollen die neue Rolle der EU jedoch nicht als Ausdruck eines Schismas zwischen den USA und den Europäern interpretiert wissen. Die USA hätten mit ihren Aufgaben in anderen Krisengebieten große Lasten zu tragen, erklärte der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, der Brite Paddy Ashdown, würden aber weiter den Europäern zur Seite stehen. Seit neuestem ist der Exgeneral seiner Majestät auch Koordinator für die EU-Politik in der Region. „Die stärkere Rolle Europas ist nicht gegen die USA gerichtet“, betonen im Gleichklang die Botschafter Deutschlands und Österreichs, Hans Jochen Peters und Gerhard Jandl. Doch bleiben Fragen offen. Was geschieht, wenn die albanische Guerilla in Mazedonien wieder aktiv würde? Die USA haben dort ihre Truppen abgezogen. Geheimdienste gehen davon aus, dass über 1.000 bewaffnete Albaner bereit stehen und jederzeit mit Terrorakten Mazedonien destabilisieren können.

Wäre die EU-Armee in der Lage, allein einen eskalierenden Konflikt einzudämmen? Und würde die Bush-Administration angesichts der Differenzen um die Irakpolitik den Europäern helfen? Militärexperten auf dem Balkan wollen noch keine ernsten Konsequenzen aus dem Irak-Streit sehen. Die EU-Armee werde weiter mit den Nato-Strukturen verbunden sein. Im Nato-Kommando Süd in Neapel werde ein Europäer dem US-Kommandeur zur Seite stehen und die beiden Seiten koordinieren.

Bei einem größeren Konflikt müsste die Nato aktiv werden. Damit wären die USA wieder im Spiel. So hoffen jedenfalls europäische Diplomaten auf dem Balkan. Denn ganz so wohl fühlen sie sich in ihrer neuen Rolle offenbar noch nicht.

ERICH RATHFELDER