Sinnlichkeits-Offensive bei Blaumeier

Im Schrank geht’s zur Sache: „Danse Maskabre“ ist die künstlerische Frucht eines neuen, eigenen Theaterraums

Neue räumliche Möglichkeiten können künstlerisch sehr fruchtbar sein: Mit dem „Danse Maskabre“ zeigte das Blaumeier-Atelier jetzt, dass sein neues Haus veritable Theaterqualitäten besitzt. Der Neubau in Walle, dessen Finanzierung unter anderem eine Spätfolge der Bremer Kulturhauptstadt-Bewerbung ist, besitzt einen 160 Quadratmeter-Saal mit umfassender technischer Ausstattung. Ab und an finden hier Gastspiele statt, vor allem aber beseitigt er die Nadelöhr-Situation im gegenüberliegenden, nur 320 Quadratmeter fassenden „Alt-Atelier“.

Nun steht fast die dreifache Fläche zur Verfügung. Zwar bleibt der Anspruch bestehen, mit den Produktionen alle möglichen Sorten von innerstädtischen Orten zwischen bis hin zum Goetheplatz-Theater zu erobern, um den integrativen Ansatz tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren. Nichtsdestoweniger ermöglicht das „eigene“ Theater mit seinen logistischen Erleichterungen, die Ausdruckspalette zu verfeinern.

Dafür ist die Arbeit der Blaumeier-Masken ein prägnantes Beispiel. Mit ihren „Walking Acts“ sind sie eine Art Markenzeichen des Ateliers: improvisierte Interaktionen mit dem in aller Regel ziemlich faszinierten Publikum im Rahmen diversester Veranstaltungen. Mit „SchrankArt“ in der Unteren Rathaushalle liegt die letzte in sich geschlossene Masken-Produktion allerdings schon fast ein Jahrzehnt zurück. Auch die fulminante „FreiNacht“ in den Wallanlagen ist wegen ausbleibender Förderung durch Bremen Marketing ins Reich des Sagenhaften zurückgefallen. Umso erfreulicher, dass sich die Masken mit dem „Danse Maskabre“ nun „bei sich zu Hause“ entfalten können.

Regisseur Andreas Meister stellt drei Schränke in den dunklen Raum: Abwechselnd öffnen sich Türen, in strenger räumlicher Begrenzung entwickeln die Figuren ihre Geschichten. Ein Dirigent müht sich mit einem imaginären Orchester ab, um anschließend von einer schwarzbestrumpften Tangotänzerin über die künstlerischen Misserfolge hinweggetröstet zu werden, ein pianistenartiges Wesen muss sich der zunehmenden Unkontrollierbarkeit seiner Klaviermaschine erwehren. In diesem Flügelaltar-ähnlichen Setting werden die Masken zu Kristallisationspunkten eigentümlicher Emotionen. Die Klarheit des räumlichen Rahmens unterstützt die große Wirkung der Kopfneigung, der minimal variierten Körperhaltung, die der faktisch fixen Mimik der Masken vielfältiges Leben verleiht.

Im „Danse Maskabre“ spielt Musik eine große Rolle. Zwei schnarchende Susaphonisten rutschen durchs Bild, allerlei Streichquartettiges prägt die Szene. Natürlich besteht immer die Gefahr, zu sehr dem Sound zu vertrauen, die akustisch geformte Stimmung lediglich zu bebildern. Doch die Masken erliegen ihr lediglich in der Szene, in der sich zwei Herren in stummfilmhafter Stan & Olli-Manier gegenseitig die Klamotten vom Leib zerren. Dann dürfen sich wieder Dirigent und Tänzerin vergnügen.

Neben der Sinnlichkeit kommt schwarzer Humor zu Ehren: Röchelnder Husten, in Dialog gesetzt zu einem penetranten Lachen zwei Schränke weiter, mündet in einen durchaus unterhaltsamen Herzinfarkt – Anlass für eine großartige Beerdigungsszene. Der Schrank wird übergangslos zum Sarg, die Bühne, in morbides Dämmern getaucht, füllt sich mit all den sinistren, skurrilen und lustigen Gestalten, die zuvor ihre jeweiligen Schrankwinkel bewohnten.

Ein großartiges Schlussbild, das leider nicht am Ende dieser „existenziellen Komödie“ steht. Stattdessen dreht die Inszenierung mit großen Tanzszenen weiter auf und vertreibt mit allzu heller Ausleuchtung die Geheimnishaftigkeit der Schrank-Universen. Nichtsdestoweniger ist „Danse Maskabre“ ein Bühnenerlebnis, das weit über die Miniaturen einzelner Masken-Charaktere oder sukzessive arrangierte Tableaus phantastischer Figuren hinausgeht.

HENNING BLEYL