Arbeitslose als Lohndrücker

Verhandlungen über die Angleichung der Arbeitszeit für Ostdeutschlands Metaller beginnen. Tarifflucht hoch, aber weniger schlimm als von Metallarbeitgebern behauptet. Effektivlöhne bleiben weit hinter dem Westen zurück, Produktivität nicht

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Seit gestern verhandeln die Metaller Ostdeutschlands wieder: Die Arbeitnehmer wollen eine Angleichung ihrer Arbeitszeit von 38 Stunden auf das Westniveau von 35 Wochenstunden. Während die IG Metall durch die Arbeitszeitverkürzung bis zu 15.000 neue Stellen erwartet, sehen die Arbeitgeber etwa 20.000 Arbeitsplätze gefährdet und sehen keine Chance für eine Verringerung der Stundenzahl. Die Verhandlungen können also dauern, Streiks der 310.000 Ost-Metaller natürlich nicht ausgeschlossen.

Hasso Düwel, Bezirksleiter für Berlin-Brandenburg-Sachsen der IG Metall, macht sich über die Streikbereitschaft keinerlei Sorgen. Ab 1. Mai könnte es nach Ablauf der Friedenspflicht damit losgehen. Bodo Finger, Präsident des sächsischen Metallarbeitgeberverbandes VSME, erwartet hingegen nun die endgültige Beerdigung des Flächentarifvertrages. Denn immer mehr Arbeitgeber treten aus dem Verband aus. Finger befürchtet einmal mehr Nachteile im Wettbewerb mit den westdeutschen und osteuropäischen Konkurrenten.

René Vits, Betriebsratsvorsitzender in Dresden und Mitglied der Großen Tarifkommission, räumt zwar ein, dass reine Arbeitszeitforderungen nicht so populär seien wie direkte Lohnerhöhungen. Der Anspruch der Belegschaft auf gerechte Arbeitsbedingungen aber sei massiv spürbar. „Wenn Lohndumping ein Standortvorteil wäre, hätte auch die DDR überleben müssen“, meint er. Man arbeitet drei Wochenstunden länger als im Westen. Trotz nominell angeglichener Tarife liegt nach Angaben der IG Metall der durchschnittliche Effektivlohn im Osten nur bei 72 Prozent West. Hasso Düwel macht dafür fehlende Betriebsvereinbarungen über Leistungslöhne verantwortlich. Es mangele am entsprechenden Durchsetzungsvermögen der Betriebsräte, die hier nicht auf gewachsene Traditionen der Tarifpartnerschaft bauen könnten.

Düwel räumt in diesem Zusammenhang energisch mit der vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall genährten Legende schwacher Produktivität auf. Sie liege bei den hochinnovativen Ostbetrieben mittlerweile mit dem Westen gleichauf, bei den in Sachsen dominierenden Autoproduzenten und Zulieferern sogar darüber. Der sächsische VSME rechtfertigt den dennoch ausgeübten Druck auf die Löhne ganz ungeniert mit der hohen Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern.

Wolfgang Gerstenberger, Leiter der Dresdner Niederlassung des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, macht dafür auch Preisnachteile auf dem westdeutschen Markt verantwortlich.

Hinsichtlich des weiter erodierenden Flächentarifs machen VSME und Gewerkschaft völlig unterschiedliche Angaben. Von den im Verband verbliebenen 10 Prozent der Betriebe würden nun auch die letzten kapitulieren, sagen die Arbeitgeber.

Nach Angaben von Hasso Düwel, die sich im Wesentlichen mit Zahlen des DGB decken, sind aber noch 23 Prozent der Metallbetriebe im Osten tarifgebunden, in denen die Hälfte der Beschäftigten arbeitet. 12 Prozent der Beschäftigten erreiche man durch Direktverhandlungen, weitere 10 orientierten sich am Flächentarif wie beispielsweise Chiphersteller und Siemens-Tochter Infineon in Dresden, mit 4.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Region. Das restliche Viertel arbeite in der Tat in gewerkschaftlich und tariflich kaum erfassten Kleinbetrieben. Von einer Spaltung des Arbeitsmarktes will Düwel dennoch nicht sprechen.

Drei Stunden Arbeitszeitverkürzung kommen einer indirekten Lohnerhöhung von 8,6 Prozent gleich. Sie würden sich aber, darin sind sich Gesamtmetall und IG Metall abseits der offiziellen Statements einig, kaum in neuen Arbeitsplätzen niederschlagen. Das Arbeitszeitregime in Schichten oder rollender Woche, so sagen Praktiker wie René Vits, würde die 35-Stunden-Woche jedenfalls nicht durcheinander bringen.