Vorrang für Geheimdienste

Der von der Bundesregierung verweigerte und vom Hamburger Oberlandesgericht akzeptierte Zugang zu geheimen Verhörprotokollen wird bei einer Revision der entscheidende Streitpunkt sein

FREIBURG taz ■ Wichtige Zeugen und Unterlagen blieben im Motassadeq-Verfahren im Dunkeln. Die Entscheidung der USA, Binalshibh nicht in Deutschland aussagen zu lassen, mussten alle Prozessbeteiligten akzeptieren. Um so heftiger wurde um die Verhörprotokolle gerungen. Als die Verteidigung beantragte, diese im Prozess zu verlesen, reagierte die Bundesregierung mit zahlreichen im wesentlichen identischen Sperrerklärungen. Das Bundeskanzleramt sperrte die Unterlagen, die beim Bundesnachrichtendienst (BND) vorliegen. Das Innenministerium die entsprechenden Akten von Verfassungsschutz und Bundeskrimininalamt. Das Justizministerium schließlich sperrte die der Bundesanwaltschaft vorliegenden Verhörprotokolle und erteilte ihrem Anklagevertreter Walter Hemberger hierzu keine Aussagegenehmigung.

Begründung jeweils: Die Veröffentlichung der Unterlagen im Prozess könnten das „Wohl des Bundes“ gefährden. Deutsche Stellen hätten die Verhörprotokolle aus den USA schließlich nur mit der Auflage strikter Geheimhaltung bekommen und seien daran jetzt gebunden. Sonst wären sie künftig vom Informationsaustausch der Geheimdienste abgeschnitten.

Das Gleiche wiederholte sich später im Hinblick auf den Deutschsyrer Mohammed Zammar, der vermutlich in Syrien inhaftiert ist. Im Fall Zammar war allerdings auch der Vorsitzende Richter Albrecht Mentz mit den Sperrerklärungen unzufrieden. Die deutschen Behörden ließen offen, so seine Kritik, aus welchem Land die Verhörprotokolle überhaupt stammten und ob bei den dortigen Diensten um eine Genehmigung zur Offenlegung nachgefragt wurde. Fast postwendend antwortete das Kanzleramt, die Unterlagen stammten von einem „Partnergeheimdienst“, der auch auf nochmalige Anfrage eine Offenlegung abgelehnt habe. Damit waren die Bedenken von Richter Mentz ausgeräumt.

Doch die Verteidiger Hartmut Jacobi und Hans Leistritz gaben nicht auf. Sie versuchten eine Herausgabe der Akten vor den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu erzwingen. Zunächst erklärte am 10. Februar das Bundesverwaltungsgericht die Sperrerklärung des Kanzleramts in Sachen Zammar für „hinreichend triftig“. Und bezüglich Binalshibh habe Richter Mentz die Sperrerklärung nicht einmal in Frage gestellt, so der Eilbeschluss der Leipziger Richter. Ähnlich entschied zwei Tage später das Verwaltungsgericht Berlin mit Blick auf die Sperrerklärungen des Innenministeriums: Da das Gericht die Akten gar nicht angefordert habe, liege auch keine Verweigerung der Akten vor.

Damit ist absehbar, dass beim Bundesgerichtshof in der Revisionsinstanz das Problem der Sperrerklärungen wieder auf dem Tisch liegen wird. Motassadeqs Verteidiger werden vermutlich geltend machen, dass sich das Hamburger Gericht nicht genügend um die gesperrten Unterlagen gekümmert habe und deshalb das Urteil auf einer falschen Tatsachengrundlage beruht habe.

Nach gängiger Rechtsprechung ist ein Strafgericht, das mit Sperrerklärungen konfrontiert ist, allerdings nur dann zu einer „Gegenvorstellung“ verpflichtet, wenn es die Begründung der Behörde für „offensichtlich fehlerhaft“ hält. Ansonsten sind Sperrerklärungen von den Gerichten zu akzeptieren. Geheimdienstinteressen haben hier also Vorrang vor der Wahrheitsfindung.

CHRISTIAN RATH