Zweifel bleiben ausgeschlossen

Das Hamburgische Oberlandesgericht verurteilt Mounir al-Motassadeq zu 15 Jahren Haft. Er habe die „wesentlichen Umstände“ der Tat gekannt

aus Hamburg ELKE SPANNER

Für einen kurzen Moment wankt Mounir al-Motassadeq dann doch. Nahezu gelöst, die Arme vor der Brust verschränkt, hatte er sich zur Urteilsverkündung erhoben, noch kurz in den Zuschauerraum gelächelt. Dann aber verkündet das Hamburgische Oberlandesgericht, dass er für 15 Jahre ins Gefängnis muss. Dem 28-Jährigen ist der Schock anzusehen. Das Gericht befindet ihn für schuldig, Mitglied der Terrorgruppe um den New Yorker Todesflieger Mohammed Atta gewesen zu sein und Beihilfe zu den Anschlägen des 11. September 2001 geleistet zu haben, bei denen 3.066 Menschen ermordet wurden.

Motassadeq ist weltweit der erste mutmaßliche Mitattentäter, der für die Anschläge zur Verantwortung gezogen worden ist. Er selbst hatte immer wieder beteuert, mit den späteren Attentätern zwar befreundet gewesen zu sein, von ihren Plänen jedoch nichts geahnt zu haben. Das Gericht hingegen sieht diese Aussage nach vier Monaten Beweisaufnahme mit „vernünftige Zweifel ausschließender Sicherheit“ widerlegt. Motassadeq habe die „wesentlichen Umstände“ der Tat gekannt, „und er billigte sie“. Der „terroristischen Vereinigung“ habe Motassadeq seit deren Gründung im Frühjahr 1999 angehört. Zwar sei er weder für die konkrete Vorbereitung der Anschläge noch für deren Ausführung zuständig gewesen. Er habe aber den anderen Attentätern bei ihren Vorbereitungen den Rücken freigehalten. Er sei zumindest „Nachforschungen über den geheim gehaltenen Aufenthalt der Attentäter“ entgegengetreten, als diese zur Flugausbildung in den USA waren.

Nach Überzeugung des Gerichts hatte sich spätestestens im Frühjahr 1999 aus dem Freundskreis der muslimischen Studenten in Hamburg-Harburg die terroristische Vereinigung herausgebildet mit dem Ziel, sich auf gewaltsame Aktionen gegen die USA vorzubereiten. Der Zeuge Shahid N., der als eingebürgerter Deutscher 1997 zu dem Freundeskreis stieß, hatte vor Gericht ausgesagt, Atta habe wiederholt das „Weltjudentum“ zum Hauptfeind der arabischen Welt erklärt und 1999 angedeutet, es gebe „Wege, etwas gegen die USA zu unternehmen“.

„Es wird tausende Tote geben“

Als zentrales Indiz dafür, dass schon 1999 konkrete Anschlagspläne bestanden, wertet das Gericht eine Szene, die sich im Februar 1999 in der TU Harburg abgespielt haben soll: Eine Bibliothekarin hatte zu Protokoll gegeben, der spätere Todesflieger Marwan al-Shehhi sei aufgebracht von einem Computer aufgesprungen und habe gerufen: „Ihr werdet noch sehen, es wird tausende Tote geben!“ Dabei habe er auch das World Trade Center erwähnt. Die „damalige Prophezeiung“, so das Gericht, „deckt sich in bestürzender Weise mit der späteren Realität“.

Die Verteidigung Motassadeqs hatte Freispruch verlangt, da er in die Anschlagspläne nicht eingeweiht gewesen sei. Das Gericht aber hielt dem entgegen, dass Motassadeq in der Gründungsphase der Terrorgruppe zum engsten Freundeskreis Attas gehört habe. Sicher hätten die Attentäter die Zahl der Mitwisser möglichst klein gehalten. Für die Kenntnis Motassadeqs aber spreche, dass dieser über das Frühjahr 1999 hinweg dem engen Kreis um Atta angehört habe – während andere frühere Bekannte, etwa Shahif N., ausgegrenzt wurden. Die Gruppe habe damals „sektenartigen Charakter“ angenommen.

Die Verteidigung Motassadeqs hatte einen Verstoß gegen den Grundsatz des „fairen Verfahrens“ gerügt, weil dem Gericht die Aussagen des Mitattentäters Ramzi Binalshibh durch die USA vorenthalten worden waren. Das Gericht räumte ein, dass dies für den Angeklagten „unbefriedigend“ sei. Sollte Binalshibh Motassadeq aber zu einem späteren Zeitpunkt entlasten, „könnte das zur Aufhebung dieses Urteils führen. Auch noch nach Jahren.“