Teure Schulbuchhaltung

Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit zum kommenden Schuljahr ist beschlossene Sache – jetzt wird die Umsetzung debattiert. Bis zu 240 Euro pro Jahr und Schüler. Leihbücher für Sozialhilfeempfänger

von AGNES CIUPERCA

Kinder waren noch nie billig. Aber richtig teuer wird es jetzt, wenn das Kind in die Schule kommt. Mit Beginn des nächsten Schuljahrs müssen Eltern ihren Kindern die Schulbücher selbst bezahlen. So viel steht bis jetzt fest. Bei der genauen Umsetzung und der Unterstütung armer Eltern wird zur Zeit ein Modell bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport favorisiert. Kinder, deren Eltern Sozialhilfe oder Wohngeld erhalten, sollen voraussichtlich die Bücher wie bisher weiter von der Schule ausleihen können. Alle anderen müssen je nach Klassenstufe bis zu 240 Euro pro Jahr für den Lesestoff ihrer Kinder ausgeben.

Grund für die Abschaffung der so genannten Lernmittelfreiheit, die bisher jedem Schüler eine kostenlose Ausleihe der Schulbücher ermöglichte, ist der Nachtragshaushalt 2003, durch den im Bereich Bildung etwa 14 Millionen Euro eingespart werden sollen. Das jährliche Budget für Lernmittel lag bisher bei 22 Millionen Euro. Mit dem Modell „Kaufen für Reiche, leihen für Arme“ sollen etwa zwei Drittel der Kosten eingespart werden.

„Wir prüfen jetzt, wer berechtigt ist, Bücher auszuleihen, und wer sie in Zukunft kaufen muss“, sagt der Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Thomas John. Ein Modell, das noch bis vor kurzem im Gespräch war, nach dem Gutscheine für Schulbücher an sozial schwache Eltern ausgegeben werden sollten, wurde vorerst verworfen. Zu teuer ist die jährlich neue Anschaffung von Schulbüchern für arme Schüler. Ein Drittel fallen schließlich in Berlin in diese Kategorie.

Gerade durch diese Unterscheidung zwischen arm und vermeintlich reich befürchtet André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses in Berlin, eine Verstärkung der Zweiklassengesellschaft unter den Schülern. „Die Gruppe der Sozialhilfeempfänger muss aufs Sekretariat, um die Bücher abzuholen, und outet sich somit als bedürftig. Das verstärkt die sozialen Probleme an den Schulen zusätzlich.“

Sigrid Baumgardt, Sprecherin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht die Stigmatisierung der Schüler noch radikaler: „Die fühlen sich schon von vornherein minderwertiger, jetzt werden sie auch noch zu Bittstellern.“ Am schwersten treffe es jedoch die Eltern, die auf staatliche Unterstützung nicht angewiesen sind, aber nur knapp an der Sozialhilfegrenze vorbeischrammen, so Baumgardt. Die oft ins Feld geführte Sparmöglichkeit durch Gebrauchtbuchkäufe auf Flohmärkten ließe sich erst in einigen Jahren umsetzen, nachdem Generationen von Eltern ihren Kindern neue Bücher gekauft haben. Außerschulische Aktivitäten wie Ausflüge, Klassenfahrten oder Sommerfeste sieht Schindler gefährdet: „Die Klassenkasse wird wohl bald leer bleiben.“