philipp maußhardt über Klatsch
: Irgendwie schwul oder das Gegenteil davon

Haben wir nicht alle ein Recht darauf, berühmt zu sein? Wenigstens für eine halbe Stunde? Oder für 10 Minuten?

Dass am vergangenen Wochenende 11 Millionen Menschen weltweit gegen einen Irakkrieg demonstrierten, hat mich nicht wirklich beeindruckt. Mir fiel dabei nur ein, dass wenige Tage zuvor 13 Millionen Menschen in Deutschland die Suche nach einem „Superstar“ anschauten. Da weiß man dann wieder, was wirklich zählt: Sechs Niemands buhlen um die Gunst von 13 Millionen Niemands.

Nach der ersten Staffel von „Big Brother“ hatte ich mir geschworen, meine Zeit nicht mehr zu verschwenden. Und so erinnere ich mich zwar noch an einen Alex Brohlig oder so ähnlich mit Goldkettchen und an den Kfz-Mechaniker Zlatko, aber fragt mich nicht, was aus ihnen geworden ist. Von den „Superstars“ drangen dann nur noch Bild-Schlagzeilen an mein Auge und Halbsätze von Kneipentischen an mein Ohr. Ein gewisser Daniel soll entweder schwul oder das Gegenteil davon sein. Wie interessant. Und der Moderator hat einen Ring gestohlen. Oder war’s ein Collier?

Gestern trug sich der 19-jährige Berufsschüler Alexander K. in das Goldene Buch seiner Heimatstadt Sendenhorst ein. Vermutlich werden da noch nicht allzu viele drinstehen. Und einem, der es aus Sendenhorst bis ins Fernsehen geschafft hat, sollte man eigentlich noch mehr Respekt bezeugen. Warum nicht ein Denkmal auf dem Rathausplatz? Die Sendenhorster Hauptstraße umbenennen?

Obwohl die meisten Menschen eigentlich beleidigt reagieren, wenn sie merken, dass man sie auf den Arm nimmt, lassen sich 13 Millionen Fernsehzuschauer ein Spektakel vorführen, das von Marketingstrategen bis ins Detail geplant und arrangiert ist. Die Nachricht, dass bei der Wahl des „Superstars“ möglicherweise geschummelt wurde, hat in Deutschlands größter Tageszeitung alle anderen Meldungen in den Hintergrund gedrängt. Ich fürchte, die Leser sind tatsächlich so doof, wie man denkt.

Meinen Glauben an die Unschuld der Unterhaltungsbranche habe ich spätestens vor sechs Jahren verloren, als ich mich im Gefolge zweier Streifenpolizisten in die Stadthalle von Melle in Niedersachsen hineinschmuggelte. Dort probte die Mädchen-Band Tic Tac Toe gerade, wie man möglichst echt einen Gefühlsausbruch auf der Bühne inszeniert. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Als der Manager mich mit meinem Notizblöckchen in der Hand entdeckte, warf er mich hochkant aus der Halle hinaus und drohte mit allen Rechtsmitteln. Noch Wochen nach dem anschließenden Zeitungsbericht klingelte bei mir zu Hause das Telefon und Kleinmädchenstimmen riefen aufgeregt: „Arschloch“, oder „blöde Sau“ in den Hörer. Am besten aber gefiel mir: „Sie Arschloch“. Niemand bedankte sich bei mir.

Als kürzlich die Sängerin Jazzy auf der Abstellgleis-Seite des Stern („Was macht eigentlich …“) nochmals auf die Inszenierung angesprochen wurde, behauptete sie tapfer: „Unsinn. Wir waren wirklich frei. Es war alles echt.“

Die Nachfolgesendungen der „Superstars“ jedenfalls liegen schon in den Schubladen. Schade um die schöne Zeit.

„Jetzt du“ ist einer meiner Lieblings-Werbesprüche. Die Lotto GmbH lässt mich mit diesen zwei Wörtern hoffen, bald schon der nächste Millionär zu sein. „Jetzt du“, ruft auch RTL. Haben wir nicht alle ein Recht darauf, berühmt zu sein? Wenigstens für eine halbe Stunde?

Gestern wollte ich Zlatko Trpkovski anrufen, um zu hören, wie es ihm heute geht. Doch auf der Suche nach seiner Nummer erfuhr ich nur, dass seine Website (www.sladdi.de) im Moment zum Höchstgebot verkauft wird. Er selbst, so meldet das „Neue Journal für zeitgenössisches Schriftthum“ (www.njfzs.de ), hätte seinen Einberufungsbescheid zum mazedonischen Militärdienst erhalten, wobei diese Zeitung offen zugibt, „Sachverhalte grundsätzlich nicht zu recherchieren“.

Vielleicht, wenn er wirklich schlau ist, ist er zurück in seine Werkstatt gegangen und ersetzt wieder irgendwo im Schwäbischen gerade eine Zylinderkopfdichtung oder wechselt einen verrosteten Auspufftopf an einem Mazda 323 aus. In der Vesperpause um 10 Uhr fragen ihn dann die Werkstattkollegen: „Komm, Zlatko, erzähl uns noch mal die Geschichte von den sechs Weibern und der Champagnerflasche in der Hotel-Badewanne.“ Dann beißt Zlatko in seinen Leberkäswecken und grinst.

Fragen zum Berühmtwerden?kolumne@taz.de