Schurians Runde Welten
: Niebaum heul-heul

„Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werde ich spielen. Rudi Völler hat einmal gesagt: Gute Spieler und echte Typen fallen durch konstant gute Leistungen auf. Nicht durch Eskapaden außerhalb des Platzes oder durch Sprüche.“

(Jens Lehmann)

Dann kam diese Mail bei uns an. Jemand wollte singen. Über Dortmund. Über Borussia. Der Fußball-Bundesligist prüfe zur Zeit nicht nur die Hypothek auf seine Zuschauerzahlen. Nein, der Verein sei richtig gehend pleite. Redakteure des Kicker würden bedroht und die Mitarbeiter der Geschäftsstelle warteten noch immer auf ihren November-Lohn.

Für gewiefte Reporter ist so etwas ein Elfmeter. Dann übernimmt der Instinkt: Die BVB-Geschäftsstelle wird belagert, jede Ticketverkäuferin abgepasst, jeder Azubi. Auf dem Parkplatz steht ein Auto mit Standheizung, mit Fernglas, Lauschrohr, Thermoskanne und Telekamera. Nebenher wird das Finanzamt informiert, die Steuerfahndung alarmiert, die Börsenaufsicht, in Grundbüchern gestöbert und die Staatsanwaltschaft auf dem Laufenden gehalten.

Und schließlich steht die Top-Story: Dortmund schlimm-schlimm, Verein bös-bös, Stadion mies-mies, Spieler weg-weg, Niebaum heul-heul. Und dann, ja, was dann?

Ich finde, wir Journalisten müssten übers Zeitreisen nachdenken, über Zurück in die Zukunft und den Terminator und weniger über Titelgeschichten.

Wieso?

Schon in der Schule lernen wir, die Presse soll informieren, kritisieren und unterhalten. Sie soll abbilden, nicht inszenieren – schon deshalb, weil sie nicht demokratisch gesteuert ist, sondern von den Verlagsinteressen. Der darüber entscheidet, ob ein Skandal aus Dortmund gedruckt wird oder nicht. Genug Sozialkunde.

Natürlich bleibt es nicht beim Abbild. Funktioniert ungefähr so gut wie die Tarnkappe oder Zeitreisen – also eher nicht. Wir kommen nicht umhin, da zu sein. Und selbst wenn wir in die Vergangenheit reisen könnten, wären wir bereits das Ergebnis dieses Abenteuers. Wirklich. Es gibt kein Eintrinnen.

Aus der Ethnologie kennen wir das Phänomen des Gefilmtwerden. Wie sich Menschen, wie sich Naturvölker verändern, nur weil eine Kamera auf sie gerichtet ist. Auch ein klitzekleines Diktiergerät kann also die Welt verändern, oder zumindest die Lautstärke des Gegenübers, die Diktion, die Grammatik. Reporter tragen die Welt im Tornister.

Zurück zum BVB. Angeschlagene Vereine werden natürlich gerne mit schlechten Nachrichten überhäuft, durch den Wolf der Medienwelt gedreht. Und ich frage mich jetzt, etwas Neujahrstrübsinnig:

Würden die Monatslöhne nicht noch pünktlicher bezahlt, wenn niemand darüber schreiben würde?

Vorwärts Kornharpen

Eine richtiges Drama ist in Bochum-Kornharpen zu beobachten. Auch der Westfalen-Oberligist hat in letzter Zeit eine gewisse Medienpräsenz erreicht: Sat1-Zweitpopstar Michael Wurst steht im Kader der Revierkicker, spielte in dieser Hinrunde allerdings nur einmal sechs Minuten. Vater Manfred, mit dem Wurst Junior in einer Band musiziert, trainierte den Klub noch vor einem Jahr. Auch er wurde samt Bruder eine kleine Berühmtheit durch die NRW-Regionalausgabe der Osbournes, einer öd‘ durchgeposten Reality-Serie namens „Die Wursts“.

Sportlich hat es der Verein aus dem Bochumer Osten schwerer: Als Aufsteiger stecken sie im Abstiegskampf und jetzt musste Trainer Rolf Kienemund das Weite suchen. Der Coach der Aufstiegssaison hat keinen A-Trainerschein, der in der Oberliga Vorschrift ist. Um keine Punkte zu verlieren, trennte man sich Hals über Kopf vom wackeren Trainer.

Doch wahrscheinlich geht mit ihm auch das Glück: Im Sommer 200 3kam es zu einer bizarren Nichtaufstiegs-Partie zwischen Vorwärts und Enger-Westerenger. Kornharpen siegte in der gleichgültigen Begegnung im Elfmeterschießen – aufsteigen durfte sowieso niemand. Tage später das große Glück: In der zweiten Liga wurden Lizenzen verweigert, Kornharpen rückte auf. Wer hat darüber berichtet?

CHRISTOPH SCHURIAN