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: 2004 wird genau wie 1984

Auch vor 20 Jahren stand es nicht gut um den bundesdeutschen Fußball: Flaute im Europacup und in der Nationalmannschaft

Als vor 20 Jahren auf die kommenden zwölf Monate vorausgeblickt wurde, war die Rede vor allem von George Orwell und dem Horrorszenario vom totalen Überwachungsstaat, das er in seinem Roman „1984“ ausgemalt hatte. Allemal wahr wurde in jenem Jahr allerdings eine ganz andere Schreckensvision: die vom tiefen internationalen Absturz des deutschen Fußballs. Wer auf das Katastrophenjahr 1984 zurückblickt, entdeckt verblüffende Parallelen zur Gegenwart.

Während Fußball-Deutschland heuer ja wenigstens mit dem FC Bayern und dem VfB Stuttgart noch europäisch vertreten ist, begann das Fußballjahr 1984 gänzlich ohne bundesdeutsche Teilnehmer im Europacup. Sämtliche Bundesligisten waren spätestens im Dezember ausgeschieden: Der HSV flog im Landesmeistercup gegen Dinamo Bukarest raus, bei den Pokalsiegern scheiterte der 1. FC Köln gegen Dózsa Újpest Budapest, im Uefa-Cup der FC Bayern, der als einziger deutscher Klub überhaupt die dritte Runde erreicht hatte, an den Tottenham Hotspurs. Sogar der fußballerisch minderbemittelte Klassenfeind stand damals besser da, denn mit dem BFC Dynamo kam immerhin ein DDR-Vertreter bis ins Viertelfinale des Landesmeistercups.

„Sind die Bundesligaklubs international nicht mehr konkurrenzfähig, haben sie in jahrelanger Selbstgefälligkeit nicht über den Tellerrand geschaut und den Anschluss verpasst?“, fragte die FAZ am 8. Dezember 1983, und so ähnlich klangen die Klagen ja auch 20 Jahre später, nachdem alle deutschen Uefa-Cup-Teilnehmer gegen Mannschaften versagt hatten, die international nicht als erstklassig gelten. Der einzige Trost für die Opfer, damals wie heute: Ihre Bezwinger kamen weit. Dinamo Bukarest stand 1984 im Halbfinale des Meisterpokals, Tottenham wurde sogar Uefa-Cup-Sieger. Und im aktuellen Uefa-Cup-Wettbewerb eliminierten die vermeintlich graumäusigen Teams aus Grodzisk und Teplice nicht nur Hertha BSC und den 1. FC Kaiserslautern, sondern danach auch Manchester City respektive Feyenoord Rotterdam.

Die Verfassung der Nationalmannschaft passte zu den Darbietungen der Bundesligisten. Bundestrainer Jupp Derwall testete 1984 Leute wie Manfred Bockenfeld, Hans-Günter Bruns und Jürgen Milewski. Experimente waren zwar angebracht, weil es die DFB-Elf in der Qualifikation geschafft hatte, gleich zweimal 0:1 gegen die am Ende punktgleichen Nordiren zu verlieren. Doch bei aller Wertschätzung für die Solidität, die diese Ballarbeiter verkörperten: Dass das Adlertrikot ein paar Nummern zu groß für sie war, hätte man ahnen können.

Beim Turnier in Frankreich durften dann wieder die vermeintlich bewährten Kräfte ran, und dazu gehörte bezeichnenderweise Bernhard Georg Josef Förster – kurz Bernd genannt und schon bei der WM 1982 als Mahnmal für germanischen Antifußball aufgefallen. Die EM war – kein gutes Omen für Portugal 2004 – für die Deutschen nach der Vorrunde vorbei: ein ödes 0:0 gegen Portugal, ein 2:1 gegen Rumänien dank zweier Rudi-Völler-Tore – und dann das verhängnisvolle 0:1 gegen Spanien.

Danach schlugen die Chronisten einen recht rüden Ton an. „Berufsgruppe Fußball-Profis 1984 und deren Anführer: Ein trauriges Bild auf dem Platz und außerhalb. Gnadenlos haben sie hier wie dort demonstriert, was sie können und was sie sind. Verantwortungslos, oberflächlich, leichtsinnig, keine Spur von Unrechtsbewusstsein“, schimpfte die Münchener Abendzeitung. Und Harry Valérien beschrieb in „Fußball 84“, was ihm nach dem EM-Aus beim Bankett mit den Funktionären durch den Kopf ging: „Wer sie hat tafeln sehen, die Korken knallen hören, quasi als Salutschüsse bei der eigenen Beerdigung, der hat sich fragen müssen, ob denn keiner was gelernt hat aus der zerstörerischen Selbstdarstellung bei der WM in Spanien … Die Kluft zwischen Star und Fan verringert sich nicht; sie klafft immer weiter.“ Oh, wie prophetisch!

Nach der EM musste Derwall gehen, Paul Breitner und Bild hievten Franz Beckenbauer auf den Thron des Teamchefs. Doch danach ward längst nicht gleich alles besser. Im zweiten Spiel unter dem neuen Vorturner wurde eine neue Regel eingeführt: Die Spieler sollten fortan bei der Nationalhymne mitsingen. Der Spiegel rezensierte seinerzeit die Premiere: „Unsicher Lothar Matthäus, stark im Luftholen, aber schwach im Ausstoß, befremdlich deklamatorisch die Individualisten Magath und Rummenigge, ein klarer Ausfall der Kaiserslauterer Brehme.“

Zu Ende gegangen, und vielleicht verspricht ja wenigstens dies etwas Gutes für 2004, ist das Jahr 1984 halbwegs versöhnlich: Deutschland gewann in der WM-Qualifikation auswärts nach einem 0:1-Rückstand noch 3:2 gegen das kleine Malta. Klingt das nicht verdächtig nach einem dieser Ergebisse, die Rudi Völlers Truppe in den letzten Monaten gegen die so genannten Kleinen eingefahren hat? RENÉ MARTENS