Rebelleninsel im Nebel

Kindersoldaten und korrupte Bürokraten – soll das der neue Kongo sein?

aus Beni und Butembo DOMINIC JOHNSON

Der Swimmingpool im Garten ist leer. Nebenan auf dem frisch gemähten Rasen steht ein großes Maschinengewehr, den Lauf Richtung Stadt gerichtet. Auf den Wiesen lümmelt zwischen Blumenrabatten und Kieswegen eine Truppe aus grell geschminkten Soldatinnen und misstrauisch aussehenden Jugendlichen mit Gewehren herum. Hinter diesem Dekor erscheint Mbusa Nyamwisi dann wie ein rettender Pol der Vernunft. Höflich empfängt der kleine und rundliche Rebellenführer in seinem Wohnzimmer und sagt: „Man muss den Staat wieder aufbauen.“

Nyamwisi ist Präsident der RCD/ML, der „Kongolesischen Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung“, einer der vielen Rebellengruppen im Gewirr des Kongokrieges. Aber unter den Kriegsherren ist Nyamwisi ein Unikum. Mitten im Flickenteppich der Warlord-Territorien hat er sich mit der Regierung im fernen Kinshasa verbündet. In den Amtsstuben seiner Bewegung in Beni, der RCD-ML-Hauptstadt, hängen bunte Bilder des Staatschefs mit der Aufschrift „Joseph Kabila, Präsident der Demokratischen Republik Kongo“.

„Wir können nicht länger warten“, sagt Nyamwisi in seiner Residenz. „Ein Grund des Krieges ist Armut. Es muss etwas geschehen.“ Das Reich des regierungstreuen Rebellen ist zerstört. Der Krieg im Ostkongo hat seit 1998 schätzungsweise knapp drei Millionen der 20 Millionen Einwohner das Leben gekostet, Hunderttausende leben als Flüchtlinge. Die Wirtschaft ist praktisch zum Stillstand gekommen. Weil es keine solventen Käufer mehr gibt, werden die Bauern ihre Produkte nicht mehr los und flüchten in die Städte.

Die Idee zum Schulterschluss mit Kabila kam von den Geschäftsleuten des Nande-Volkes. Sie sind die traditionelle Handelselite der Region und heute Rückgrat der RCD-ML. Einst exportierten sie Kaffee und Gold, bis heute läuft über die Handelsmetropole Butembo, 50 Kilometer südlich der Rebellenhauptstadt, und den nahen Zollposten Kasindi an der Grenze zu Uganda der Außenhandel der Region. Autos mit Kennzeichen aus Dubai fahren durch die staubige und verkommene Großstadt mit inzwischen 600.000 Einwohnern, in der es keine einzige Teerstraße gibt, und auf dem labyrinthartigen Markt stapeln sich Konsumgüter aus Asien.

An der Einfahrt zu Nyamwisis Villa steht ein großes, kitschiges Denkmal für seinen älteren Bruder Muvigi Nyamwisi, der Anfang der 90er-Jahre als einer der ersten Politiker der Region die ethnische Karte spielte und die Besserstellung der Nande gegenüber den vermeintlich privilegierten Ruandern forderte. Mobutu-Soldaten erschossen ihn, seitdem ist er ein Held, und sein Bruder bezieht jetzt Legitimität vom illustren Verwandten.

Die Nande-Händler sind ungeduldig. Die andauernde Unsicherheit lähmt das Geschäft. So haben sie sich entschieden: Die Zukunft heißt Kabila, und wir werden die ersten sein, die das begreifen – und auf diese Weise unsere Vormachtstellung wahren. Die Loyalität zum Zentralstaat bringt Geld, während die Kabila-feindlichen Rebellen drumherum als illegale Ausplünderer dastehen.

Zehn Kilometer außerhalb von Butembo ist der Erfolg dieser Strategie zu sehen. Wo einst der Ivugha-Fluss den Berghang hinuntersprudelte, führt nun ein steiles Rohr das Wasser geordnet hinab von einem kleinen Staudamm inmitten von Bananenhainen oben bis zur großen grünen Turbine 120 Meter weiter unten. Schwitzende Arbeiter schweißen die letzten Teilstücke zusammen, bevor in diesen Tagen der Testbetrieb starten kann für das erste große kommerzielle Wasserkraftwerk im Osten des Kongo seit Beginn des Krieges. Zunächst 1,2 Megawatt, später mit einer zweiten Turbine fünf Megawatt soll der Ivugha-Staudamm liefern, erklärt stolz Bauleiter Shaun Olivier aus Südafrika, während er auf der Baustelle herumstapft. Für Butembo ist das kaum ein Drittel des Bedarfs. Aber inmitten von Staatszerfall und Milizenterror kann der Kraftwerkbau der südafrikanischen Firma Clackson Power das Vorzeichen einer neuen Zeit sein.

Präsident Joseph Kabila erteilte der Betreibergesellschaft Senoki, der „Société d’Electrification du Nord-Kivu“, im April 2002 die Lizenz zur Bereitstellung von Strom- und Wasserversorgung in der Provinz, also auch den Teil um die eigentliche Provinzhauptstadt Goma, der von der mit Nyamwisi rivalisierenden Rebellenbewegung RCD beherrscht wird. Die Senoki, ein vor einem Jahr gegründetes Gemeinschaftswagnis einiger führender Händler von Butembo, sieht sich daher als Avantgarde staatlicher Legalität in einem Ozean von Rebellion. „Wir hatten Genehmigungen von den Rebellen, aber wir waren weitsichtig und holten uns eine Lizenz der Regierung“, erklärt Jeannot Angongolo, Bankier und Senoki-Aktionär. „Eine Lizenz der Regierung kann niemand mehr anfechten.“

Die Unternehmer wollen hoch hinaus. Nach dem Wasserkraftwerk soll ein internationaler Flughafen für Butembo kommen, mit einer 3.000 Meter langen Piste hoch oben auf den grünen Bergen oberhalb der Stadt. „Im ganzen Osten gab es bisher nur den Flughafen von Goma“, sagt Angongolo. „Dabei ist diese Region hier eine der dynamischsten des Landes, wenn nicht die dynamischste. Der Vulkanausbruch in Goma hat den Flughafen zerstört. Jetzt werden wir Goma ersetzen.“

Aber das ist noch Zukunft. In einem Bürogebäude mitten in Butembo halten die Investoren der Senoki an diesem Tag Krisensitzung. Etwa 30 Geschäftsleute sitzen in feinen Anzügen auf Ledersofas und gucken sich ratlos an, während sie auf ihren Präsidenten Kambale Lirima warten, dessen Flugzeug wegen eines Todesfalls in Kisangani hängen geblieben ist. „Haben Sie kein Geld?“, fragt einer den Reporter aus Deutschland.

Die Firma hat zwar eine Million Dollar ausgegeben, um unter anderem das Flughafengelände zu erwerben, eine Straße dorthin zu bauen und die Turbine für das Wasserkraftwerk zu kaufen. Aber das ist nicht einmal ein Achtel der benötigten Summe, und mehr wollen die Unternehmer nicht riskieren. Sie haben schon Schulden bei der südafrikanischen Baufirma gemacht, Kabila gibt ihnen kein Geld, und neue Partner kommen nicht.

Denn so richtig zuversichtlich stimmt die neue Zeit in Beni und Butembo nicht. Unter den Kabila-Bildern in den Amtsstuben verlangen schnöselige Bürokraten Schmiergelder für jede Amtshandlung. An Straßensperren werden Passanten aufgehalten, durch Beni rasen hin und wieder Lastwagen mit aufgepflanzten Maschinengewehren und Kindersoldaten auf dem Verdeck. Wenn das der neue Kongo ist, bedeutet er keinen Fortschritt.

Zugleich wachen die Nande-Händler darüber, dass die Annäherung an Kabila nicht zu weit geht. Sonst gingen nämlich die lukrativen Zolleinnahmen aus Kasindi – der zweitwichtigste Außenhandelsposten des ganzen Kongo – an die ferne Zentralregierung, statt in der Region zu bleiben. Dann gäbe es hier überhaupt kein Geld mehr.

Ein Wasserkraftwerk und einen Flughafen soll die Metropole Butembo bekommen

Auf die Frage, ob diese Gegend nun Regierungsterritorium sei oder nicht, antwortet ein Journalist: „Zu 60 Prozent“. Der Provizgouverneur von Beni, Théodore Sikuly’uvasaka, sagt fröhlich in seinem getäfelten Büro: „Ich bin eine dezentralisierte Einheit.“ Und Rebellenchef Nyamwisi selbst meint lässig auf seinem Sofa: „Noch sind wir nicht Regierungsgebiet. Wir wollen nicht zu schnell vorankommen, um nicht zu weit vorn zu sein.“

Dafür, dass sie weiter als autonome Region bestehen darf, überlässt die RCD-ML Kabila militärische Freiräume. Nach UN-Angaben sind vier Bataillone der kongolesischen Regierungsarmee in Beni stationiert – ein Bruch des geltenden Waffenstillstands. Niemand vor Ort dementiert die Truppenpräsenz. „Ausbilder“ sind es offiziell.

Ausbildung haben Nyamwisis Truppen nötig. Jahrelang, als die Armeen Ruandas und Ugandas das Gebiet beherrschten, herrschte in diesem Gebiet Krieg mit lokalen Nande-Milizen, so genannten Mayi-Mayi. Die RCD/ML versöhnte sich mit ihnen, als sie sich 2001 im Laufe komplexer Machtkämpfe von den ausländischen Schutzmächten lossagte und nach Beni zog. Heute sind die Mayi-Mayi Rückgrat der RCD-ML-Streitkräfte.

Das Hauptquartier der Nyamwisi-treuen Mayi-Mayi am Stadtrand von Butembo könnte dem äußeren Anschein nach ein Bürokomplex sein, aber seine kahlen Räume sind in Wahrheit Feldlager für Buschkämpfer. „Der Krieg ist noch nicht vorbei“, sagt in einem Zimmer auf einer niedrigen Holzbank Onésime Matus, Militärchef der Dachorganisation „Allianz Patriotischer Mayi-Mayi von Nord-Kivu“. „Die Ruander und Ugander sind dabei, zurückzukommen. Mit Ausländern kann man keine Politik machen.“ Man arbeite mit Kabila zusammen, sagt Matus: „Die Beziehungen sind gut, auch im militärischen Bereich – sogar bei Operationen. Die Regierungsarmee bildet unsere Kämpfer aus.“

Alle Seiten berichten in diesen Wochen, die Kriegsparteien Ostkongos bereiteten eine neue Waffenrunde vor. Mbusa Nyamwisi streitet das nicht ab. Er versucht, sich als gemäßigte Kraft in der Mitte zu profilieren: „Es gibt in Kinshasa Hardliner, die den Krieg wollen“, erklärt er. „Man muss sie nicht ermutigen, und auch nicht die in Ruanda, die ebenfalls Krieg wollen.“

Man muss nicht. Aber man tut es – und gefährdet damit die Ansätze wirtschaftlichen Aufschwungs. „Wenn man anfängt, an so was zu denken“, seufzt Senoki-Präsident Lirima, als er endlich außer Atem zur Krisensitzung seiner Firma erscheint, „kann man gleich einpacken.“