Auwei!
: Gute Vorsätze für 2004

Schon im letzten Jahrtausend habe ich mir das Rauchen abgewöhnt. Eisern halte ich seit 2001 mein Übergewicht (zehn Kilo). Ich trinke wenig, Grappa zum Beispiel. Vor lauter Arbeit und Müdigkeit komme ich vor dem Ein- kaum zum Beischlafen. Zum Fremdgehen fehlen mir hier einfach mehr Fremde. Meine Frau ist zufrieden mit mir, meine Heilpraktikerin, Ärzte, meine Taiji- und Qigong-Lehrer, meine Chefs, die seltenen Geldgeber und zahlreichen Geldnehmer.

Wieso fragen mich zurzeit dennoch alle nach meinen guten Vorsätzen für das Jahr 2004? Vorsätze? Plansolls? Pah! Weiterleben würde schon reichen. Gut, ich könnte mich sporadisch mehr auf kleine Abenteuer einlassen. Die Krankenkasse wechseln vielleicht (von der Münchner Tod zur Aachener Leben), die WAZ kündigen und die NRZ abonnieren, den Weinkeller der Vermieterin entrümpeln oder die Epilepsie-kranke Mischlingshündin der Schwiegermutter einschläfern lassen, bevor die nochmals über sie stürzt.

Aber würde sich dadurch wirklich etwas ändern? Vielleicht sollte ich überhaupt aufhören, was ändern zu wollen? Sollte 2004 vielmehr in die fernöstliche Richtung der heiter-gelassenen daoistischen Mönche gehen? Gegen das ganze „Auwei“ und „Oweh“ einfach mal ein „Wuwei“ setzen! Was ja mit dem Wort „Nichthandeln“ von den Hobbychinesen hierzulande eher schlecht vermarktet wird. Haltbarer übersetzt wäre „Wuwei“ wohl mit „Nichtwiderstreben“ oder „Geschehenlassenkönnen“. Das wär‘s! Das könnte ich mir für 2004 definitiv vornehmen. Einfach mal mehr geschehen, laufen oder bleiben lassen. Beim „Großen Wuwei 2004“ wären bei mir dabei:

Erstens: Trotz aller virtuellen und echten Wehwehchen nicht mehr zum Arzt gehen, zum Apotheker, zum Optiker, nicht mehr ins deutsche Reformhaus. Was man da ab 2004 durch Wuwei sparen könnte. Mein Gott, ich bin jetzt 49. Sich endlich gleichmütig auf ein Leben mit Gleitzeit, Gleitsicht und Gleitcreme einzustellen, das müsste doch zu schaffen sein.

Zweitens: Lernen, ruhig dabei zuzusehen, wie große Teile der Grünen-Führung weiter versuchen, in die SPD einzutreten, die aber gerade zuvor geschlossen in die CDU/CSU eingetreten ist, deren Rechtsaußen-Flügel just zu einem Gegenbesuch bei nationalen Demokraten weilt, die wiederum kurzfristig das Treffen gecancelt haben, weil ihnen auffiel, dass sie auf einem jüdischen Friedhof Farben und Brecheisen vergessen hatten.

Drittens: Sich angesichts solcher Spukbilder nicht mehr nachsichtig auf die 2005-er Landtagswahl in NRW vorbereiten. Schon einmal das Nicht-Wählen als meditative Praxis einüben. Obwohl ..., eigentlich sollte man mit einer „Liste Aktive Nichtwähler“ den parteiübergreifenden Marktfundamentalisten einmal frank und frei das vollständige Nicht- und Misstrauen aussprechen. Vielleicht eine der letzten Chancen für nutzlos gewordene Nutznießer, verbrauchte Verbraucher und verlorene Verlierer. Aber damit nähme man sich natürlich von Herzen etwas vor. Und schon säße man wieder in der Falle eben jener guten Vorsätze. Und das ist nun wirklich das Letzte, was Sie und ich jetzt gebrauchen könnten, oder?

Also, nehmen wir uns doch lieber einfach nur vor uns vorzustellen, ich hätte diese Zeilen hier nie geschrieben. So geht‘s auch.

VON GERD HERHOLZ