Spatzen machen Kasse

Im Bochumer Schauspielhaus wurde die „Piaf“-Premiere umjubelt. Matthias Hartmann füllt seine Reihen jetzt auch mit Aufführungen, die bereits an anderen Häusern Erfolge verbuchten

„Der endlose Weg zum Mikrofon ist der einsamste meines Lebens“ Edith Piaf (1914-1963)

VON PETER ORTMANN

L‘amour ne s‘explique pas ! C‘est une chose comme ça, Qui vient on ne sait d‘où Et vous prend tout à coup.

Wir wachen auf. In H.G. Wells Zeitmaschine sind vier Jahrzehnte vergangen. Auf der großen, leeren Bühne des Bochumer Schauspielhauses steht Edith Piaf mit Theo Sarapo, ihrem 20 Jahre jüngerer Mann. Sie singen „A quoi ca sert l‘amour.“ Das wäre bei George Pal möglich gewesen, nicht bei Matthias Hartmann. Ein zweifelhaftes Erwachen also.

Die kleine Person an der Rampe ist Maria Happel. Sie hat ein wenig von der Aura der großen französischen Chansonette, ihre Stimme ist fast eine Reinkarnation. Aber eben nur fast. Dennoch wird der Abend ein Erfolg, mit stehenden Ovationen, einem riesigen Rosenstrauß und einer glücklichen Schauspielerin, die „Bochum, ich bereue nichts“ ins Mikrophon haucht. Diesen Moment hat Maria Happel schon oft erlebt. In Bremen, in Hannover, in Köln und in Graz. Die Rolle der Leben saufenden Piaf ist ihr aufs Wesen und die Stimme geschrieben und sie war überall ein Garant für volle Häuser. Kein Wunder, dass das Stück der britischen Autorin Pam Gems in Bochum im großen Haus (811 Plätze) zu sehen ist und nicht in den verdichtenden Räumen der Kammerspiele (410 Plätze). Kasse machen ist in Bochum oberste Maxime und da kommt so ein erprobter Renner als Premierenfutter zur Weihnachtszeit gerade recht. Die Intendanz denkt wie die Meistermacher im Profi-Fußball: Bei der Endabrechnung in zwei Jahren fragt keiner mehr, wie der Besucherzahlensieg zustande gekommen ist. Sowas nennt sich heute Theatermarktwirtschaft.

Maria Happel kann nichts dafür. Sie gibt dem Publikum genau das, was es haben will, sie ist stimmlich sehr gut, piafdarstellerisch überzeugend, hochprofessionell im Umgang mit Technik und Mitspielern und es ist keine Schande, zuzugeben, dass der Kloß im Hals in den Gesangsszenen weit nach oben rutscht. Die dramatische, manche sagen tragische, Liebes- und Lebensgeschichte von Edith Giovanna Gassion, geboren 1915 in einer Strasse von Paris, ist dabei leider Nebensache und so wird sie eben als schnödes Nummernkabarett inszeniert. Dabei war der Lebensweg der charismatischen Sängerin auch ohne Lieder interessant genug. Der Vater war gelegentlich Strassenakrobat, die Mutter ständig Prostituierte, Edith wuchs bei der Oma auf. Mit 20 Jahren wurde sie dann als Sängerin entdeckt. Ein Künstlername mußte her. Man gab ihr den Namen „Piaf“ (Spatz), was sie im Stück mit dem Satz „Was kann ich mit so einem Namen schon werden“ kommentiert.

Sie wurde die berühmteste Chansonsängerin aller Zeiten, sie führte ein wildes Leben, sie trank, nahm Drogen, verbrauchte Männer wie Handtücher und entdeckte nebenbei Sänger wie Charles Aznavour, Eddie Constantine, Yves Montand und Gilbert Becaud. Als sie am 11.10.1963 in Nizza starb, defilierten Hunderttausende an ihrem Sarg vorbei. Purer Rock `n Roll und nichteinmal Mick Jagger wird das wiederholen können.

Unter der Regie von Maria Happel, ja, auch dafür zeichnet die sympatische Piaf-Doublette verantwortlich, kommt das alles zu kurz, auch wenn einzelne Szenen, Herr Hartmann soll strategisch unter die Arme gegriffen haben, bühnenreif sind. Die Begegnung mit Marlene Dietrich in Amerika, von der sie damals ein goldenes Kreuz geschenkt bekam, ist es beispielsweise nicht. Auch die Mitglieder des Bochumer Ensembles wirken nur wie Boulevard-Staffage. Dann geht das Licht aus. Der Spot an. Piaf wankt auf das Mikrophon zu, ein Weg von dem sie einmal gesagt hat, dass es der einsamste ihres Lebens war, die Musik von der ausgezeichneten Live-Band beginnt, auch das nächste Chanson auf der überlangen Liste und bevor ein Ärger richtig hochsteigen kann, sind die Zuschauer wieder versöhnt. Das ist bei einem Theaterstück normalerweise nicht möglich. Konsequenterweise sollte Maria Happel sich von der Gemsen-Stückvorlage trennen und ein komplettes Konzert geben. Dann brauchte der Zuschauer nicht immer auf die nächste Nummer warten. Ob damit allerdings auch bis Juli die Reihen im Großen Haus des Schauspielhauses gefüllt würden, ist unwahrscheinlich.

Non, rien de rien,

non, je ne regrette rien!