Fake-Idyll und Infrarotsonnenaufgang

Trittunsicherheit in dunklen Räumen, gepaart mit des Besuchers Phantasie, in den Isebekkanal zu stürzen: Im Künstlerhaus Weidenallee erproben Filomeno Fusco und Ando Yoo die Entfremdung: „Archipel Alltag“

Einer kleine Insel in Norwegen im dunklen Keller hinter Gitterzäunen – unerreichbarer und einsamer kann Isolation nicht demonstriert werden als im Archipel Alltag, den Filomeno Fusco und Ando Yoo für das Künstlerhaus Weidenallee in einem alten Lagerraum unter der Straße eingesperrt haben.

Eine norwegische Inselgruppe, von Yoo auf Fotos aus dem Urlaub mitgebracht, haben sie mit aufgeschüttetem Sand und Pflanzenkeimen nachgestellt. Erst in den letzten Tagen begann die Uferböschung aus Kresse, Schnittlauch und Spinat unter der Infrarotsonne zu sprießen. Jetzt hängt dort ein fieses Schwarzlicht, das die Besucher empfängt. Der Ausstellungsraum liegt unter der Erde, in einer ehemaligen Schnaps-Panscherei unter der Weidenallee. Im 19. Jahrhundert wurden hier Korn, Rum und Cognac mit billigem Kartoffelschnaps gestreckt. Zu erreichen ist er nur unter Führung der Künstler. In den gespenstischen Hallen lagern Gerüstgestänge, Paletten mit Bauschutt und alte Kneipenbänke, die wie in einer Kapelle auf einen sakralen Punkt hin ausgerichtet sind: eine kalte Wand. Eine Toko-no-ma, eine japanische Bildernische, wie Ando Yoo erklärt. Die Beleuchtung ist minimal. Ein weißer Lichtschlauch schlängelt sich als einziger sichtbarer Teil der Raum-Inszenierung unter der Decke entlang.

Filomeno Fusco und Ando Yoo erzählen mit Archipel Alltag zwei Geschichten auf einmal. Die der Brennerei, einer heute vergessenen Hinterhofgeschichte, von Fusco zufällig entdeckt. Und die der Entfremdung von Natur und sich selbst: die unerreichbare Insel, das mit Salatsaat gefakte Idyll, die Trittunsicherheit der Füße in den verdunkelten Räumen, die Phantasie, durch das halb verdeckte Loch im Boden in denIsebekkanal zu stürzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Künstler versteckte Plätze zugänglich machen. Meistens stehen die Kunstwerke unter der erdrückenden Wirkung der ungewöhnlichen location, die Identitätsauflösung wird von der Raumerfahrung aufgehoben. Und von den Inseln im Zollaußengebiet der Brennerei bleibt nur die Dia-Projektion im Schaufenster des neuen Galerieraums des Künstlerhauses Weidenallee, die den Wuchs der Archipel-Vegetation dokumentiert.

Christian T. Schön

Führungen: 23. 2., 11 + 15 Uhr, 2. 3., 19 Uhr, Treffpunkt und Schaufenster-Projektion: Weidenallee 21