Der Meister der korrektiven Geste

Den britischen Künstler Liam Gillick interessiert mit seinen Arbeiten vor allem die Frage: „Wie wird die nahe Zukunft in einem nach-utopischen Umfeld kontrolliert?“ Ausstellungen bei Schipper & Krome und Max Hetzler zeigen den Denker und Ästheten

von BRIGITTE WERNEBURG

Der Galerieraum, der bei Schipper & Krome leicht und anmutig wirkt, schaut bei Max Hetzler am Holzmarkt kalt und kalkuliert aus: Was daher kommt, dass Liam Gillick hier die farbigen Plexiglasscheiben, die seinen Paraventkonstruktionen das elegante Flair geben, einfach weggelassen hat. So stehen nur die Aluminiumrahmen dreier gleichschenkliger, an einer Seite offener Kuben im Raum. Sie sind zwar auch in dem abgesofteten Gelb, Grau, Beige, Rosé und Blau gestrichen, also den Farben die sonst das transparente Plexiglas auszeichnen, doch es fehlt das Spiel mit dem Licht, das seine minimalen Architekturelemente sonst so bezwingend macht. Das Steckelement aus puren Aluplatten ist auch nicht gerade von rasantem Charme oder größerem Überraschungswert. Gegen so viel pure Konstruktion hilft selbst die bunte Deko an der Wand nicht, die aus sich überlagernden und überschneidenden Ds besteht. Bei Schipper & Krome dagegen hängen die bekannten Paravents in Form dreier „Discussion Platforms“ von der Decke, und das Wandbild, das es auch hier gibt, zeigt ein fröhliches florales Design. Hinzu kommt ein Text an der Stirnwand des Raumes, der – wie es Gillick gern tut – ohne Wortzwischenräume in einem fort läuft.

Trifft man bei Schipper & Krome auf den Ästheten Gillick, so begegnet man bei Hetzler dem Denker. Der Denker macht einem Schwierigkeiten. Nicht nur weil er nichts weiter anbietet als ein Environment, das man gern einen Unort nennen möchte. Mit welchem Begriff auch schon der Ausgangspunkt seines zweiteiligen Berliner Galerienprojekts angesprochen ist: Denn Grundlage seiner Installationen ist das Buch „Literally No Place“, das Gillick, der nicht nur als Künstler, Designer, Filmemacher, Musiker, Journalist und Kritiker auftritt, sondern auch als Schriftsteller, 2002 in London veröffentlichte. In „Literally No Place“ geht es um die Konditionierung des Menschen durch seine Umwelt, durch die Räume, in denen er lebt, um seine Entfremdung und Ortlosigkeit. Um Gegenstrategien wohl auch, freilich entschlüsseln sie sich nicht ohne weiteres. Formale Verfahren wie Verdoppelungen der Szenarien, Sprünge und Elipsen in den einzelnen Episoden scheinen die Werkzeuge des Widerstands.

Gillick, der Denker, ist so hermetisch, wie Gillick der Ästhet zunächst offen und kooperativ erscheint. Für „Deutschemalereizweitausenddrei“ (selbstverständlich in einem Wort) hat er des Katalogdesign entworfen, für den Schweizer Ringier Verlag den jährlichen Geschäftsbericht. Damit war er aber schon ganz heftig im Clinch mit dem Feind. Denn seine große Frage, auf der Gillick insistiert, lautet: „Wie wird die nahe Zukunft in einem nach-utopischen Umfeld kontrolliert?“

Ringier hat da sicher einige Ideen, zumindest möchte das Medienunternehmen zu den Anwärtern gehören, auf die Frage, wer die nahe Zukunft in einem nach-utopischen Umfeld mit kontrolliert. Gillick sah also seine Gestaltung des Geschäftsberichts als eine – wie er in einem Gespräch in der aktuellen Ausgabe von Kunstforum International sagt – „korrektive Geste“: „Ich habe ihnen eine richtig guten Jahresbericht geschickt, das war für sie das letzte, was sie als Zeichen von Kunst-Wert gebrauchen konnten.“ Denkt man über diesen Begriff der korrektiven Geste in den Arbeiten Liam Gillicks noch einmal nach, dann macht einem allerdings auch Gillick, der Ästhet, plötzlich Schwierigkeiten. Denn dann sieht sein plexigläsernes Retrodesign auf einmal ebenfalls sehr hermetisch und rätselhaft aus. Wie die Rollen mit weißem Papier, die in den gläsernen Bodenvasen stehen.

Bis 8. März, Galerie Max Hetzler, Holzmarktstraße 15–18, Di.–Sa. 11–18 Uhr. Bis 15. März, Galerie Schipper & Krome, Linienstraße 85, Di.–Sa. 11–18 Uhr; Liam Gillick, „Literally No Place“, Book Works, London 2002, 72 Seiten, 9,95 £