„Kein Wunder, wir sind in Mitte“

Beim Neujahrskonzert in der Volksbühne spielten in diesem Jahr die Hamburger Diskursrocker Kante. Ein wichtiges Ereignisfür den eher studentoiden Teil der Stadtbevölkerung. An Stelle eines Konzertberichts: Ein Protokoll der Dialoge am Rande

VON JÖRG SUNDERMEIER

Am Donnerstag. Die Band Kante spielt in der Volksbühne, großes Haus, Neujahrskonzert. Es ist ausverkauft. Strahlende Veranstalter. Junge Menschen, eher mit hohem Ausbildungsgrad, sie sitzen. Auch auf den Treppen. Der Saal ist überfüllt. Die Band spielt Sentimentales. Andere sitzen vor den Saaltüren, rauchen, trinken. Einige Dialogfetzen, exemplarische wahrscheinlich.

„Wie war’s gestern?“ – „Ruhig. Wenig Alkohol. Selbst?“ – „Ziemlich wild. Bin jetzt noch verkatert. Und Diskussionen, ich sag dir …“ – „Aber es schmeckt schon wieder?“ Lachen, lachen.

„Hier sehen alle gleich aus.“ – „Kein Wunder, wir sind in Mitte …“ – „In der Volksbühne vor allem.“ – „Ich mag das nicht mehr sehen, diese Gestalten, so überindividuell, dass sie alle gleich aussehen. Schau dir da, die da vorn an – zwei Meter weiter steht genau so eine, mit dem gleichen ‚frechen‘ Käppi, heilige Scheiße.“ – „Ich finde die Jungs mit den Koteletten noch lustiger. Diese Typen, das ist doch …“ – „Hey, Dirk, darf ich dich daran erinnern, dass du Bartträger bist?“ – „Höhö.“ „Selber höhö.“ Aufstehen, gehen.

„Ausverkauft. Und kein Bier mehr. So was!“ – „Drüben gibt’s noch welches.“ – „Das fängt ja gut an.“ – „Hallo, na?“ – „Hey, frohes neues Jahr!“ – „Dir auch.“ – „Zeig mal – Mensch, das ist ja ein Veilchen.“ – „Ja, ist aber schon abgeschwollen.“ – „Und die Brille?“ – „Montag oder Dienstag kriege ich eine neue Fassung. Die Gläser sind allerdings ganz geblieben.“ – „Was war denn?“ – „Ich habe mich am Heiligabend lang gemacht.“ – „Au backe.“ – „Ja, Backe passt.“

„Kommst du mit rein?“ – „Nö, ich mag nicht, wenn er singt.“ – „Echt?“ – „Ja, die erste Kante, die war super und …“ – „Ja, sind überhaupt große Instrumentalisten.“ – „Aber singen, das kann er nicht.“ – „Finde ich schon. Finde ich ganz groß.“ – „Die klingen ja eh mehr wie Blumfeld jetzt.“ – „Findest du?“ – „Debattieren, Debattieren.

„Es geht in Popmusik nicht um Wahrhaftigkeit oder so’n Schmu, hör mir auf.“ – „Doch, glaub es mir. Darum geht es.“ – „Quatsch.“ – „Ich kann diesen ganzen Diskursmüll nicht mehr hören, dieses Reden über Reden. Und dieses ganze ach wie betonte Anspielen und Zitieren, ich …“ – „Kein Künstler kann nicht zitieren. Das geht doch gar nicht.“ – „Ja, aber das man das so betont …“ – „Also, es gibt von Dietmar einen geilen Satz über Metallica, damals, als sie sich die Haare abgeschnitten haben, und der Satz heißt sinngemäß …“ – „Metallica?“ – „Ja, geile neue Platte.“ – „Das Bassist ist ein Monster.“ – „Ich hab mich nie für Metallica interessiert!“ – „Also der Satz heißt jedenfalls: ‚Das Problem ist nicht, dass Metallica nicht wissen, dass Michaels Mutter gefeuert ist, das Problem ist, dass sie es nicht mehr wissen wollen.‘ Versteht ihr? Darum geht es.“ – „Nee, so einfach ist das nicht.“ – „Kommt ihr mit in den Salon, jetzt?“ – „Warum?“ – „Na, hier ist das Bier alle.“ Gehen, reden.

„Mein Gott, Neujahr und schon wieder betrunken.“ – „Ich sag dir, 2004 wird geil.“ – „Nee, Robin, lass mal, geh mal gerade, wir reden hier was.“ – „Ok, ok, wenn ich störe …“ – „Ja, störst gerade.“

„Also, jedenfalls lass dich nie mit einer Jüngeren ein. Ich weiß, was ich sage.“ – „Das ist doch Mist.“ – „Nein, da gibt es, verstehst du, das wird nicht eine Wellenlänge …“ – „Du kannst nicht von einer auf alle schließen.“ – „Ja, vielleicht. Soll ich noch …“ – „Nee, nur ein Bier.“ Treffen, umarmen.

„Was ist denn mit Dirk los?“ – „Er hat die Tage verwechselt, er ist heute melancholisch und gestern war er erlöst.“ – „Hey, was kann ich für meine Gefühle?“ – „Ja ja, ruhig, ruhig, schschschsch! Wir leiden ja alle.“ – „Ich nicht. 2004 wird ein super Jahr! Rock!“ – „Scheiße, dieses ‚Rock‘-Sagen, kann er sich das mal abgewöhnen?“ – „Genau, auf 2004!“ – „2003 war gar kein schlechtes Jahr, eigentlich.“ – „Und das von dir?“ – „Was, du hast dich auch getrennt?“ – „Ja, aber schon im Sommer. Jetzt bereue ich’s.“ – „Weißt du, man lernt dann auch was …“ – „Sabine, was sind das denn für Sprüche? Esoterikerin geworden?“ – „Warte mal, da ist Achim …“ Rauchen, warten.

„Wie? Du willst schon gehen?“ – „Ja, ich muss morgen früh schreiben.“ – „Komm, eins noch.“ – „Ei je. Ei je.“ Tanzen, tanzen.

„Nein, das kann ich gar nicht verstehen, der Typ hat einfach keine Tiefe. Ist doch klar. Bei der Frisur, Strubbel-Look, logo, dass da nur ’ne Leerstelle drunter ist.“ – „Immerhin, 50 Euro dafür ausgegeben, dass man möglichst verschlafen aussieht.“ – „Was hast du denn eigentlich gestern gemacht?“ – „Mensch, du noch hier? Ich denke du wolltest vor zwei Stunden gehen.“ – „Ja, aber Achim hat mich aufgehalten …“ – „Die U-Bahnen fahren wieder, sollen wir …“ – „Also ehrlich, ich kann jetzt nur noch Taxi.“ – „Ich habe nicht genug dabei, ich muss noch zur Bank …“ – „Nein, ich mach das schon. Kein Problem.“ – „2003 ist vorbei. 2004 nur mit dir.“ – „Nein, mit mir.“ Lachen, schlafen.