Nicht den Müll, sondern mich

Es gibt eindeutige Zeichen: Schreckliche Fans verfolgen einen überallhin

Dem Ohrenschein nach umfasst mein Fan-Club etwa zwei bis vier Personen

Die Krankenschwester Annie Wilkes nimmt das Fan-Dasein ausgesprochen ernst. Sie verehrt den Schriftsteller Paul Sheldon auf eine besonders mädchenhaft-schwärmerische Art. Annie nimmt Paul in Erzwingungshaft, bricht ihm mit einer Axt die Beine, sediert ihn, bis er so stillsitzt, dass er endlich unter ihrem fürsorglichen Lektorat eine Happy-End-Fortsetzung ihrer heiß geliebten Romanserie schreibt.

An „Misery“ (zu deutsch: „Sie“), das beklemmende Folterkammerspiel Stephen Kings von 1987, muss ich seit einiger Zeit öfter denken. Sport-, Pop- und andere Stars sind häufig den Attacken ihrer leidenschaftlichen Anhänger ausgesetzt. Die zeitgenössische Fachliteratur von Gala bis Spiegel ist voll mit Storys, in denen geistesverwirrte Gestalten Hollywood-Größen auflauern.

Man wird jetzt einwenden, dass es so etwas schon immer gegeben habe. Mittlerweile die Menopause herbeisehnende Mütter werden ihre der Teenie-Hysterie geschuldeten Beatles-Kreischereien anführen und auf dem Fußballplatz sozialisierte Über-40er werden zugeben, dass gleichgeschlechtlicher Sex für sie zwar nie ein ernsthaftes Thema gewesen, in der goldenen Günter-Netzer-Ära aber immerhin als Möglichkeit aufgeschienen sei. Später habe sich das dann gegeben. Richtig. Irgendwann zwischen 16 und 26 soll der Mensch gefälligst seiner Pubertät entwachsen sein und gelernt haben, libidinöse Energie zur Entfesselung realistischerer Leidenschaften einzusetzen. Sollte man meinen.

Andererseits gibt es massenhaft Fan-Clubs, deren deutlich jenseits der Altersgrenze 30 lebende Mitglieder es als Hauptdaseinszweck betrachten, sich der Anhimmelung von Schlagersängern wie Hartmut Engler (Pur) oder Olaf Malolepski (Die Flippers) hinzugeben. Ungezählte erwachsene Frauen halten einer Ermittlung der abwaschbaren Illustrierten Bunte zufolge Rudi Assauer für den dritterotischsten Mann Deutschlands, während die entsprechend verdörrte Fantasie ihrer Männer sich Sabine Christiansen als Traumfrau vorstellt. Trüb muss es aussehen in den Seelen solcher Menschen.

Diese früh Verstaubten sind es auch nicht, die mich an Stephen Kings Monster-Annie denken lassen, wenn ich wieder mal im Morgengrauen von bedrohlichen Geräuschen aus dem Tiefschlaf gerissen werde. Es gibt nämlich noch eine äußerst vitale, aggressive, ganz besonders kranke Gattung von Fans, denen alles egal ist. Sie greifen noch nicht mal nach Popstars minderer Güte. Sie belästigen, bedrohen, verfolgen eine der meines Erachtens unauffälligsten Personen, die mir bekannt ist: Mich.

Viel weiß ich nicht von ihnen. Das wenige, was ich weiß, ist allerdings schrecklich genug. Es handelt sich um fanatische Müllwerker. Dem Ohrenschein nach umfasst mein Fan-Club etwa zwei bis vier Personen. Sie kommen immer morgens zwischen sieben und sieben Uhr dreißig, versammeln sich unter meinem Schlafzimmerfenster und schreien nach mir. Vielsprachig, so viel steht fest. Restjugoslawisch scheint dabei zu sein, vielleicht auch Transsylvanisch. Selbst wenn ich einer dieser Sprachen mächtig wäre, hätte ich keine Chance, die Schlachtrufe zu verstehen. Werden sie doch untermalt von Mülltonnenperkussion. Die Tonnen werden gerollt, hochgehoben, fallen gelassen. Je nach Laune nehmen sie auch Container und veranstalten mit ihnen Crashtests an der nächstliegenden Hauswand. Allerlei Drüsen produzieren Adrenalin, das ich als Fluchttreibstoff benutzen sollte, woran mich aber die Schreckstarre meines jäh geweckten Körpers hindert. Nach etwa drei Minuten ist der Spuk vorbei, und ich stürze schweißnass zum Fenster. Alles, was ich von meinen internationalen Fans aber je gesehen habe, ist die Farbe ihrer jedes Morgengrauen durchstechenden Club-Kleidung: Grellorange.

Dem Einwand, ich sei ein vom Verfolgungswahn besessener Spinner, der das unvermeidliche Auftauchen von Mitarbeitern der städtischen Müllabfuhr als Vorwand nähme, hirnrissige Schauergeschichten aufzuschreiben, müsste ich bis zu diesem Punkt stattgeben. Dass meine Ängste jedoch seriös begründet sind, wird jedem Zweifelnden einleuchten, der erfährt, dass es sich bei meinen Verehrern um eine Reisegruppe handelt, die mir an den verschiedensten Orten auflauert. Ganz gleich, wo ich übernachte, meine Schlachtenbummler sind am nächsten Morgen da.

Zunächst probierte ich es mit wechselnden Wohnungen in meinem Heimatort. Ich schlief ohne Vorankündigung in den Gästebetten von Freunden. In verschiedenen Stadtteilen, zu verschiedenen Jahreszeiten, an verschiedenen Wochentagen. Mein Fan-Club war da. Ich übernachtete nach dem Zufallsprinzip in anderen Städten des Landes: Berlin, München, Frankfurt. Mein Fan-Club war da. Auch entlegene Dörfer im dunkelsten Schwarzwald suchte ich testhalber auf. Immer waren sie da und überfielen mich morgens um sieben mit ihren schrecklichen Kundgebungen. Einmal haben sie sogar die Fähre genommen und erwischten mich auf dem landfernen Amrum. Dienstags.

Ja, sie nehmen einiges auf sich, selbst vor Fernreisen scheuen sie nicht zurück. Seitdem sie mir – Achtung: an einem Ostersonntag! – pünktlich um sieben Uhr im Hinterhof eines unscheinbaren Pariser Hotels einen der Bluthochzeit des Fürsten Dracula angemessenen Polterabend mit Altglascontainerzusammenstößen widmeten, weiß ich: Eines Tages werden sie nicht den Müll, sondern mich abholen.

Eines Tages am Ende eines Jahres werden sie vor meiner Wohnungstür stehen und ganz harmlos die Klingel drücken. Ich werde öffnen, und einer von ihnen wird in angelerntem Deutsch sagen: „Müllabfurr wünscht gutte neue Jarrr.“ Einer aber wird hinter ihm stehen und eine große Axt in der Hand haben. Sie werden mich mitnehmen in die gekachelten Geschäftsräume ihres Fan-Clubs und ihr schreckliches Werk vollenden. Und sie werden nicht eher damit aufhören, bis ich eine andere Geschichte geschrieben habe als diese. FRITZ ECKENGA