Wohlige Wärme aus Strohfeuer

Ein Hotel in Mecklenburg-Vorpommern wird komplett mit Stroh geheizt. Damit spart man 10.000 Euro pro Jahr. Von rund 2,9 Millionen Tonnen Stroh des Bundeslandes könnte ohne ackerbauliche Bedenken rund ein Drittel energetisch genutzt werden

Gerade wenn man denkt, die Welt sei hier zu Ende, geht’s in Mecklenburg-Vorpommern doch noch weiter: Vorbei an großen Stoppelfeldern führt holpriges Kopfsteinpflaster zum „Bücherhotel Groß Breesen“ von Conny und Uwe Weiß. Seit September 2002 setzt das Ehepaar ganz auf Stroh: Sie heizen ihr 30-Zimmer-Hotel mit der goldgelben Biomasse, die im nordöstlichen Bundesland reichlich vorhanden ist.

Geheizt wird mit einem Großballen-Strohvergaser. „Das ist eine Weltneuheit“, zeigt sich Tausendsassa Uwe Weiß von der Technik des Minikraftwerks mit der thermischen Leistung von 200 Kilowatt begeistert. „Spüren Sie die wohlige Wärme?“, fragt er und antwortet gleich selber: „Die Wärme fühlt sich angenehmer an als die von Heizöl.“

Unabhängig davon setzt er auch aus Kostengründen auf die wärmende Kraft von gedroschenem Getreide. Während die Hoteliers-Eheleute Weiß den Wärmebedarf des Hotels bisher mit jährlich 44.000 Liter Heizöl deckten, ersetzen sie diese Menge fossilen Brennstoffs zukünftig durch etwa 100 Tonnen Stroh. „Eine Tonne Stroh entspricht energetisch etwa 440 Liter Heizöl“, erklärt Weiß. Und da er die ungefähr 250 Kilogramm schweren und im Durchmesser 1,80 Meter großen Rundballen von Ackerbauern aus der Umgebung für einen Preis von 8 bis 13 Euro bezieht, kalkuliert er pro Strohballen in Relation zum Heizöl 20 bis 25 Euro weniger Heizkosten. „Das macht jährlich eine Einsparung in Höhe von 8.000 bis 10.000 Euro.“ Vorausgesetzt allerdings, dass der Hotelier mit rund 400 Rundballen übers Jahr auskommt. Dies entspricht etwa einer Strohmenge, die auf 15 Hektar Getreideanbau anfällt, so die optimistische Berechnung.

Dass der Großballen-Strohvergaser seit Inbetriebnahme gut funktioniert, wärmt nicht nur die Füße der Gäste, sondern hat in kurzer Zeit weite Kreise in der Biomasse-Szene gezogen. So zählt Weiß an manchen Tagen mehr Besucher seiner Strohvergaseranlage als Hotelgäste.

Über das große Interesse freut sich Matthias Herlt, Juniorchef der Herstellerfirma Herlt, die in Vielist bei Waren inzwischen ihren Strohvergaser in vier Größen fertigt: mit 85, 99, 200 und 400 Kilowatt thermischer Leistung. „Im Gegensatz zu den dänischen Fabrikaten ist unsere Anlage kein Strohverbrennungsofen, sondern ein Vergaser, der mit genau dosierter Zugluft, einem Umlaufgebläse, operiert und nach unten hin verbrennt“, erklärt Matthias Herlt die Funktionsweise. „Dies bewirkt, dass die Asche fortlaufend wegpustet wird und sich die Flamme lanzenartig in den Ballen hineinfrisst.“ Dabei wird das im Vergaserraum anfallende Gas – da, wo der Strohballen bei 800 Grad kontrolliert vergast wird – im Unterdruckverfahren in die darunter befindliche Brennkammer gesogen und dort bei 1.000 Grad verbrannt.

Das bringt zwei große Vorteile, die bei herkömmlichen Strohverbrennungsanlagen fehlten. So werden Problemgase wie Stickoxide, Kohlenmonoxide und Kohlenwasserstoffe weitestgehend abgefackelt. Dies sorgt für eine Abluft, die nach den Untersuchungen des hessischen TÜV unter den Normgrenzen der einschlägigen Technischen Anleitung (TA Luft) liegen würden; weshalb der TÜV Hessen, so Herlt, ihren Strohvergaser für die 1. Bundesimmissionsschutzverordnung (1. BImSchV) empfohlen habe und damit eine Abgaskontrolle durch den lokalen Schornsteinfeger genügen würde. Allerdings steht dieser Empfehlung die aktuelle Rechtslage entgegen, hat doch der Bundesrat im Herbst – gegen die Stimmen der fünf neuen Bundesländer – eine Novelle der TA verabschiedet, die besagt, dass alle Strohvergaseranlagen über 100 Kilowatt Leistung der 4. BImSchV und damit einer teuren und aufwändigen Abgasuntersuchung unterliegen. Allerdings könnten die einzelnen Bundesländer Sondergenehmigungen erteilen, meint zumindest Herlt, der sich auf politischer Ebene noch eine Nachbesserung der neuen TA Luft erhofft.

Außerdem fällt bei der von Herlt entwickelten Vergasertechnik keine Schlacke mehr an, sondern nur noch Asche. Die könne problemlos als wertvoller Dünger auf den Acker verteilt werden, so Weiß. Das sieht Thorsten Gottschau von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) jedoch ganz anders. „Die Asche dürfen Sie ohne Sondergenehmigung gar nicht ausbringen“, verweist der Experte für Bioenergien auf die aktuelle Düngemittelverordnung, bei der die Strohasche über den Grenzwerten von Schwermetallwerten liege. Allerdings fragt Gottschau, „ob der Automatismus einer ständigen Verschärfung von Grenzwerten überhaupt noch sinnvoll ist“.

Trotzdem ist sich Matthias Herlt sicher, dass man mit dem neuartigen Strohvergaser einen großen Markt bedienen kann. So prognostiziert er, dass die eigene Firma von derzeit 45 Beschäftigten in schon ein, zwei Jahren auf über 100 Mitarbeiter anwachsen wird – trudeln doch sogar aus dem Ausland ständig neue Anfragen ein. Der Gouverneur des US-Bundesstaats Ohio, wo es „unendlich viel Maisstroh“ geben soll, lud den Erfinder Christian Herlt persönlich ein, um seinen Strohvergaser kennen zu lernen. Die Amerikaner waren begeistert von den Verheißungen. Und auch die Russen stehen den Mecklenburgern bereits auf den Füßen. Die positiven Meldungen und die offenbar zu erwartende Wirtschaftlichkeit lassen auch hiesige Landwirte aufhorchen. Zumal die Anlagen – ein 99-Kilowatt-Modell kostet 57.000 Euro – derzeit im Rahmen der Agrarförderprogramme mit bis zu 35 Prozent bezuschusst werden.

Derweil schwelgt Weiß in Groß Breesen in großen strohigen Dimensionen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums 2,9 Millionen Tonnen Stroh. Davon könnte ohne ackerbauliche Bedenken rund ein Drittel energetisch genutzt werden, mithin 950.000 Tonnen. Das wären immerhin mehr als 2.000 Anlagen à la Groß Breesen.

DIERK JENSEN