SENFIGE ZEITEN: WARUM MANCHE AUF DEN MOSTRICH GEHEN

Ohne Scheu vor Peinlichkeit wirbt die Regierungskampagne „TeamArbeit für Deutschland – Wir glauben an Ich – Gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit“ für sich selbst. Auf dem Hurra-Terrain der Propaganda ist das Ich ein Witz und der Schritt vom Ich zum Mostrich ein entsprechend winziger. Schnell plumpst das Ich ins Würdelose und sieht sehr bekleckert aus. Tief im Senfe sitzt eine junge Frau namens Merit Schambach, die auf einer Reklamepostkarte betont, dass Merit Schambach eine Ich-AG ist, und zwar „eine erfolgreiche Ich-AG aus Berlin“. Das Werbemittel zeigt sie, umgeben von dutzenden Senfgläsern, mit einem Senfglas in der rechten und einem großen, senfgefüllten Löffel in der linken Hand. Merit Schambachs Ich-AG heißt „SenfSalon Ich“. Man muss das zweimal sagen, und dann will man es noch immer nicht glauben: „SenfSalon Ich“. Was macht man im „SenfSalon Ich“? Senfkorn sein im Getriebe der Welt? Oder den ganzen Senf einfach aufessen? Riesige Haufen Senf? Direkt vom Löffel, aus der Hand von Merit Schambach? Oraler Senfeinlauf: hmmh, happihappi? Dergestalt ein- und voll gesenft, wird man gleichfalls Teil der „TeamArbeit für Deutschland“ und gründet selbst eine Ich-AG. Eine Mutti aus Schmargendorf macht sich mit der Ich-AG „Kindersempf“ Mut, ein Veteran von 1914–18 will mit der Ich-AG „Senfgas“ die karge Rente aufbessern, und ich, der unverschuldet in Not geratene Lyriker, gründe die Ich-AG „Senfesser erzählen“ und bedichte den „SenfSalon Ich“: Ich sitze froh im Senfsalon / Und füttere mein Ego / Mein Ego ist aus Lego. / Still lutsche ich ein Senfbonbon / Aus einer AG Senf und Ich. / Mein Ego liebt den Senf so sehr / Gibt Mo-, den Senf, nie wieder her / Und schickt ihn auf den -strich. // Vom Ich zum Senf, vom Senf zum Wir: / Das ist ein großer Menschheitsschritt! / Ich, Senf und wir, wir sind zu dritt. / Herr Ober, bitte noch drei Bier. WIGLAF DROSTE